Woran liegt es und was lässt sich tun?
2009 wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, dass Patientenverfügungen befolgt werden müssen, wenn sie auf die aktuelle Situation zutreffen und konkrete Anweisungen enthalten. Letzteres wurde 2016 in einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGHBGH Bundesgerichtshof) in Erinnerung gebracht. Eigentlich also nichts Neues, aber wer liest schon ein Gesetz, bevor er eine Patientenverfügung aufsetzt, zumal im Internet unzählige Angebote zu finden sind, die es scheinbar leichter machen. Tatsächlich gibt es aber erhebliche Unterschiede, was die Reichweite von Patientenverfügungen betrifft, d. h., in welchen Situationen sie beachtet werden muss. Zudem wurde festgelegt, dass Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung zu beachten sind.
Eine Patientenverfügung wird erst benötigt, wenn der eigene Willen nicht mehr kommuniziert werden kann. Selbst wenn das noch geht, fällt es vielen schwer zu entscheiden, auf welche Behandlung sie lieber verzichten wollen, weil die Konsequenzen nicht vollumfänglich bekannt sind oder verstanden werden.
Die allermeisten Patientenverfügungsvorlagen orientieren sich an den Empfehlungen des Bundesjustizministeriums (BMJBMJ Bundesministerium der Justiz) von 2004, die in ihrer Reichweitenvorgabe sehr eingeschränkt waren und leider heute noch sind, obwohl das Gesetz von 2009 weitergehende Festlegungen zulässt. Es gibt einige andere Angebote, die zulassen, die Reichweite enger oder weiter zu fassen. Das Spektrum geht dabei von Lebensschutz bis Sterbehilfe, wobei die meisten Angebote irgendwo dazwischen liegen.
Den größten Lebensschutz dürfte zurzeit jemand haben, der keine Patientenverfügung, aber eine gute Krankenversicherung hat, dann kann erwartet werden, dass alles getan wird, um das Sterben zu verhindern bzw. hinauszuzögern.
Dem am nächsten kommt die sogenannte Christliche Patientenvorsorge, deren Vorgabe die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen nur im unabwendbaren, unmittelbaren Sterbeprozess oder Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung vorsieht. In einer solchen Situation, würde ein ethisch handelnder Arzt aber sowieso nichts mehr tun, um das Sterben zu verhindern, denn es ist ja bereits »unabwendbar«, bzw. der Patient ist »austherapiertaustherapiert Ärztliche Diagnose, die besagt, dass eine Genesung therapeutisch nicht mehr zu erwarten ist. Als Konsequenz sollte dann eine palliativmedizinische Behandlung folgen, die Leidlinderung als vorrangiges Ziel verfolgt.«. Hier muss man fragen dürfen: Wem nützt es, dass in aussichtslosen Fällen, eine Sterbeverzögerung durch diese „Patientenvorsorge“ legitimiert erscheint?
Am anderen Ende des Spektrums sind die beiden Patientenverfügungsmodelle des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD). Deren Standard-Patientenverfügung hat die Wahlmöglichkeiten erheblich über die Vorgaben des BMJ hinaus erweitert. Zudem wird eine kostenlose Beratung angeboten sowie die qualifizierte Erstellung von Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten. Die Erstellung einer Standard-Patientenverfügung kostet 60 Euro. Alternativ bietet der HVD eine sogenannte Optimale Patientenverfügung an, die als die bessere Patientenverfügung beworben wird, aber 160 Euro kostet. Unverständlich ist, warum eine humanistische Organisation zwei konkurrierende Patientenverfügungen anbietet und so viel Geld dafür verlangt. Konsequenter und humanistischer wäre es, beide in einer Version zu vereinen, wie wir es hier getan haben.
Die Wahlmöglichkeiten gehen sogar so weit, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei Schwerstpflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden können und/oder die Behandlung bei schwerer Hirnverletzung zeitlich begrenzt werden kann. Außerdem ist es möglich, Wiederbelebungsmaßnahmen bei Herz-/Kreislaufstillstand absolut auszuschließen.
Wer noch am Leben teilhaben und sich selbständig bewegen kann, schließt dadurch eine Wiederbelebung zunächst nicht aus, denn die Patientenverfügung liegt meist Zuhause, was auch gut so ist, denn wer noch unterwegs sein kann, will höchstwahrscheinlich noch leben. Wenn aber nach einer fehlgeschlagenen Wiederbelebung, bei Nichteinwilligungsfähigkeit, die Verfügung zur Kenntnis gelangt, muss die weitere Behandlung eingestellt werden. Dann kann an einer Erkrankung natürlich verstorben werden, so wie es die Großeltern und alle Generationen davor noch mussten (oder durften), weil die Medizin noch nicht anders konnte.
Anders ist es, wenn man bereits pflegebedürftig ist und in einer Pflegeeinrichtung betreut wird. Dann sollte der Inhalt der Patientenverfügung bekannt sein und eine Kopie in der Pflegeakte liegen. Wenn die Verfügung dies klar zum Ausdruck bringt, kann der behandelnde Arzt Pflegende darauf hinweisen, dass nun auf keinen Fall mehr wiederbelebt werden soll. Dazu kann in der Verfügung auch die Benachrichtigung eines Notarztes ausgeschlossen werden. Stattdessen sollten dann Haus- oder BereitschaftsarztHaus- oder Bereitschaftsarzt denn ein Notarzt müsste unverzüglich wiederbeleben und hätte keine Zeit eine Patientenverfügung zu prüfen gerufen werden.
Pflegeeinrichtungen könnten nicht bereit sein, das dann zu respektieren. Vorgeschoben wird die Angst wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden, was aber bei einer auf die Situation passenden, konkreten Patientenverfügung nicht der Fall wäre. Eine Behandlung gegen den Willen der betroffenen Person ist dagegen als Körperverletzung strafbar, was leider die wenigsten wissen. Darum ist es hilfreich, wenn der behandelnde Arzt in einer vorausschauenden Notfallplanung entsprechende Anweisungen schriftlich dokumentiert hat.
Leider gibt es bisher keine glaubwürdige Instanz, die die Qualität angebotener Patientenverfügungen vergleicht und beurteilt. Unglücklicherweise hat sich die für sowas prädestinierte Stiftung Warentest selbst disqualifiziert, indem sie eine eigene Patientenverfügung herausgegeben hat und damit versucht Geld einzunehmen. Bei einem Vergleich würde deutlich werden, dass ihre eigene nicht über die Empfehlungen des BMJ hinausgeht, dafür aber die möglichen Festlegungen teilweise unnötig verkompliziert.
Das macht die Situation für einen Vorsorgewilligen natürlich nicht einfacher. Naheliegend wäre, sich von einem Arzt beraten zu lassen, doch dürfte auch diesem der Überblick fehlen oder die Kenntnisse und Bereitschaft, eine individuelle Patientenverfügung zu erstellen, denn die Beratung zur Patientenverfügung ist keine kassenärztliche Leistung. Da das Ziel einer Patientenverfügung das Zulassen eines natürlichen Sterbens ist, könnte ein Arzt zudem in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn er möglicherweise seine Aufgabe vorrangig in der Lebenserhaltung sieht.
Da Ärzte mit Sterbeverhinderung viel Geld einnehmen können, kann dies zu einem Interessenskonflikt führen, der in der Qualität der Patientenverfügung zum Ausdruck kommen kann. Aber Ärzte sind nicht von Haus aus qualifiziert zu Patientenverfügungen zu beraten, denn die wenigsten haben Erfahrung mit Sterbenden, auch weil Hausbesuche sich finanziell nicht mehr lohnen. Zudem hat der Gesetzgeber die Beratung zur Patientenverfügung nicht als kassenärztliche Leistung vorgesehen.
Mancher meint, sich von einem Anwalt oder Notar beraten lassen zu müssen, doch fehlt denen dazu meist die medizinische Qualifikation, sodass sie oft einen vorgefertigten Text benutzen und relativ hohe Gebühren verlangen.
Wer genau weiß, was er will, kann sich die passende Patientenverfügung aussuchen, doch dürfte den meisten dafür der Überblick fehlen, denn es gibt unzählige Anbieter. Sich aber mit dem ersten Formular, das einem begegnet, aus Unkenntnis zu begnügen, kann leidvolle Folgen haben. Glück im Unglück hat dann, wer sein Leid nicht mehr wahrnehmen kann, aber sehr schlimm ist es für die, die ihr Leid erfahren und ihren Willen nicht mehr zum Ausdruck bringen können.
Zum Vergleich hier vier sehr unterschiedliche Patientenverfügungs-Angebote:
- Broschüre der Christlichen Patientenvorsorge zum herunterladen oder bestellen …
- Textbausteine aus der Broschüre „Patientenverfügung“ des BMJ als Textdatei …
- Standardpatientenverfügung des Humanistischen Verbands zum herunterladen …
- Auswahlbögen für die individuell-konkrete Patientenverfügung des Projekts Patientensorge zum herunterladen …