Ein Wutbuch
Vorwort … Als praktischer Arzt weiß ich, wie wichtig Vertrauen in der Medizin ist. Die Arzt-Patienten-Beziehung lebt davon, und man sollte deshalb Vertrauen nicht leichtfertig infrage stellen. Das ist mir nur zu bewusst, aber das systematische Fehlverhalten und die Missstände in unserem Gesundheitssystem haben Ausmaße angenommen, zu denen man nicht mehr schweigen darf. Vertrauen in der Medizin muss auf einem soliden Fundament stehen, dieses Fundament sind die medizinischen Leitlinien und Lehrbücher, sie bilden die Grundlage der täglichen Arbeit in Praxen und Krankenhäusern und haben deshalb immensen Einfluss auf die Patientenbehandlung. Und dieses Fundament ist morsch und brüchig. Jeden Tag werden in Deutschland unzählige Patienten falsch behandelt. Wie ich zeigen werde, passiert all dies unter Billigung und teils sogar aktiver Mithilfe von Hochschulprofessoren, die diesen Schaden in Kauf nehmen, obwohl es ihre Aufgabe wäre, uns vor solchen Fehlbehandlungen zu schützen. Es geht dabei nicht um Fehlleistungen oder Kunstfehler Einzelner, sondern um ein System, welches schlechte Medizin zum Normalfall macht und sich jeder Kritik entzieht. Warum? Weil es für viele Ärzte in leitenden Hochschulpositionen mit Macht‑, Einfluss- und Einkommensverlust verbunden wäre. Am schlimmsten ist für mich als Arzt das Gefühl, dass ich meine Patienten nicht mehr vor schlechter Medizin schützen kann. Überweise in ein diabetisches Spezialzentrum, dann ist die Gefahr groß, dass sie dort medikamentös falsch eingestellt werden, sodass sie sogar früher sterben als ohne Behandlung. Überweise ich einen Patienten wegen Knieschmerzen zum Orthopäden, bekommt er nicht selten ohne Not eine Kniespiegelung verordnet. Überweise ich Patienten in die Universitätsklinik, werden sie unter Umständen dort ungeprüften Hightechverfahren unterzogen, mit ungewissem Ausgang und begleitet von einer Medikation, von der sie vor allem die Nebenwirkungen zu spüren bekommen.
Frank, Dr. med. Gunter: Schlechte Medizin – Ein Wutbuch. Albrecht Knaus Verlag.