Kategorie: Sorge
Beiträge, die zu Sorgen Anlass geben
Patientenverfügungen leisten oft nicht, was von ihnen erwartet wird
Woran liegt es und was lässt sich tun?
2009 wurde im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt, dass Patientenverfügungen befolgt werden müssen, wenn sie auf die aktuelle Situation zutreffen und konkrete Anweisungen enthalten. Letzteres wurde 2016 in einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGHBGH Bundesgerichtshof) in Erinnerung gebracht. Eigentlich also nichts Neues, aber wer liest schon ein Gesetz, bevor er eine Patientenverfügung aufsetzt, zumal im Internet unzählige Angebote zu finden sind, die es scheinbar leichter machen. Tatsächlich gibt es aber erhebliche Unterschiede, was die Reichweite von Patientenverfügungen betrifft, d. h., in welchen Situationen sie beachtet werden muss. Zudem wurde festgelegt, dass Patientenverfügungen unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung zu beachten sind.
Eine Patientenverfügung wird erst benötigt, wenn der eigene Willen nicht mehr kommuniziert werden kann. Selbst wenn das noch geht, fällt es vielen schwer zu entscheiden, auf welche Behandlung sie lieber verzichten wollen, weil die Konsequenzen nicht vollumfänglich bekannt sind oder verstanden werden.
Die allermeisten Patientenverfügungsvorlagen orientieren sich an den Empfehlungen des Bundesjustizministeriums (BMJBMJ Bundesministerium der Justiz) von 2004, die in ihrer Reichweitenvorgabe sehr eingeschränkt waren und leider heute noch sind, obwohl das Gesetz von 2009 weitergehende Festlegungen zulässt. Es gibt einige andere Angebote, die zulassen, die Reichweite enger oder weiter zu fassen. Das Spektrum geht dabei von Lebensschutz bis Sterbehilfe, wobei die meisten Angebote irgendwo dazwischen liegen.
Den größten Lebensschutz dürfte zurzeit jemand haben, der keine Patientenverfügung, aber eine gute Krankenversicherung hat, dann kann erwartet werden, dass alles getan wird, um das Sterben zu verhindern bzw. hinauszuzögern.
Dem am nächsten kommt die sogenannte Christliche Patientenvorsorge, deren Vorgabe die Ablehnung lebenserhaltender Maßnahmen nur im unabwendbaren, unmittelbaren Sterbeprozess oder Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung vorsieht. In einer solchen Situation, würde ein ethisch handelnder Arzt aber sowieso nichts mehr tun, um das Sterben zu verhindern, denn es ist ja bereits »unabwendbar«, bzw. der Patient ist »austherapiertaustherapiert Ärztliche Diagnose, die besagt, dass eine Genesung therapeutisch nicht mehr zu erwarten ist. Als Konsequenz sollte dann eine palliativmedizinische Behandlung folgen, die Leidlinderung als vorrangiges Ziel verfolgt.«. Hier muss man fragen dürfen: Wem nützt es, dass in aussichtslosen Fällen, eine Sterbeverzögerung durch diese „Patientenvorsorge“ legitimiert erscheint?
Am anderen Ende des Spektrums sind die beiden Patientenverfügungsmodelle des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD). Deren Standard-Patientenverfügung hat die Wahlmöglichkeiten erheblich über die Vorgaben des BMJ hinaus erweitert. Zudem wird eine kostenlose Beratung angeboten sowie die qualifizierte Erstellung von Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten. Die Erstellung einer Standard-Patientenverfügung kostet 60 Euro. Alternativ bietet der HVD eine sogenannte Optimale Patientenverfügung an, die als die bessere Patientenverfügung beworben wird, aber 160 Euro kostet. Unverständlich ist, warum eine humanistische Organisation zwei konkurrierende Patientenverfügungen anbietet und so viel Geld dafür verlangt. Konsequenter und humanistischer wäre es, beide in einer Version zu vereinen, wie wir es hier getan haben.
Die Wahlmöglichkeiten gehen sogar so weit, dass lebensverlängernde Maßnahmen bei Schwerstpflegebedürftigkeit ausgeschlossen werden können und/oder die Behandlung bei schwerer Hirnverletzung zeitlich begrenzt werden kann. Außerdem ist es möglich, Wiederbelebungsmaßnahmen bei Herz-/Kreislaufstillstand absolut auszuschließen.
Wer noch am Leben teilhaben und sich selbständig bewegen kann, schließt dadurch eine Wiederbelebung zunächst nicht aus, denn die Patientenverfügung liegt meist Zuhause, was auch gut so ist, denn wer noch unterwegs sein kann, will höchstwahrscheinlich noch leben. Wenn aber nach einer fehlgeschlagenen Wiederbelebung, bei Nichteinwilligungsfähigkeit, die Verfügung zur Kenntnis gelangt, muss die weitere Behandlung eingestellt werden. Dann kann an einer Erkrankung natürlich verstorben werden, so wie es die Großeltern und alle Generationen davor noch mussten (oder durften), weil die Medizin noch nicht anders konnte.
Anders ist es, wenn man bereits pflegebedürftig ist und in einer Pflegeeinrichtung betreut wird. Dann sollte der Inhalt der Patientenverfügung bekannt sein und eine Kopie in der Pflegeakte liegen. Wenn die Verfügung dies klar zum Ausdruck bringt, kann der behandelnde Arzt Pflegende darauf hinweisen, dass nun auf keinen Fall mehr wiederbelebt werden soll. Dazu kann in der Verfügung auch die Benachrichtigung eines Notarztes ausgeschlossen werden. Stattdessen sollten dann Haus- oder BereitschaftsarztHaus- oder Bereitschaftsarzt denn ein Notarzt müsste unverzüglich wiederbeleben und hätte keine Zeit eine Patientenverfügung zu prüfen gerufen werden.
Pflegeeinrichtungen könnten nicht bereit sein, das dann zu respektieren. Vorgeschoben wird die Angst wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden, was aber bei einer auf die Situation passenden, konkreten Patientenverfügung nicht der Fall wäre. Eine Behandlung gegen den Willen der betroffenen Person ist dagegen als Körperverletzung strafbar, was leider die wenigsten wissen. Darum ist es hilfreich, wenn der behandelnde Arzt in einer vorausschauenden Notfallplanung entsprechende Anweisungen schriftlich dokumentiert hat.
Leider gibt es bisher keine glaubwürdige Instanz, die die Qualität angebotener Patientenverfügungen vergleicht und beurteilt. Unglücklicherweise hat sich die für sowas prädestinierte Stiftung Warentest selbst disqualifiziert, indem sie eine eigene Patientenverfügung herausgegeben hat und damit versucht Geld einzunehmen. Bei einem Vergleich würde deutlich werden, dass ihre eigene nicht über die Empfehlungen des BMJ hinausgeht, dafür aber die möglichen Festlegungen teilweise unnötig verkompliziert.
Das macht die Situation für einen Vorsorgewilligen natürlich nicht einfacher. Naheliegend wäre, sich von einem Arzt beraten zu lassen, doch dürfte auch diesem der Überblick fehlen oder die Kenntnisse und Bereitschaft, eine individuelle Patientenverfügung zu erstellen, denn die Beratung zur Patientenverfügung ist keine kassenärztliche Leistung. Da das Ziel einer Patientenverfügung das Zulassen eines natürlichen Sterbens ist, könnte ein Arzt zudem in einen Gewissenskonflikt kommen, wenn er möglicherweise seine Aufgabe vorrangig in der Lebenserhaltung sieht.
Da Ärzte mit Sterbeverhinderung viel Geld einnehmen können, kann dies zu einem Interessenskonflikt führen, der in der Qualität der Patientenverfügung zum Ausdruck kommen kann. Aber Ärzte sind nicht von Haus aus qualifiziert zu Patientenverfügungen zu beraten, denn die wenigsten haben Erfahrung mit Sterbenden, auch weil Hausbesuche sich finanziell nicht mehr lohnen. Zudem hat der Gesetzgeber die Beratung zur Patientenverfügung nicht als kassenärztliche Leistung vorgesehen.
Mancher meint, sich von einem Anwalt oder Notar beraten lassen zu müssen, doch fehlt denen dazu meist die medizinische Qualifikation, sodass sie oft einen vorgefertigten Text benutzen und relativ hohe Gebühren verlangen.
Wer genau weiß, was er will, kann sich die passende Patientenverfügung aussuchen, doch dürfte den meisten dafür der Überblick fehlen, denn es gibt unzählige Anbieter. Sich aber mit dem ersten Formular, das einem begegnet, aus Unkenntnis zu begnügen, kann leidvolle Folgen haben. Glück im Unglück hat dann, wer sein Leid nicht mehr wahrnehmen kann, aber sehr schlimm ist es für die, die ihr Leid erfahren und ihren Willen nicht mehr zum Ausdruck bringen können.
Zum Vergleich hier vier sehr unterschiedliche Patientenverfügungs-Angebote:
- Broschüre der Christlichen Patientenvorsorge zum herunterladen oder bestellen …
- Textbausteine aus der Broschüre „Patientenverfügung“ des BMJ als Textdatei …
- Standardpatientenverfügung des Humanistischen Verbands zum herunterladen …
- Auswahlbögen für die individuell-konkrete Patientenverfügung des Projekts Patientensorge zum herunterladen …
Vom Leid, sterben zu wollen
Am 26.03.2018 fand eine Informationsveranstaltung zum Leid, sterben zu wollen unter Mitwirkung des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg, KdöR (HVD) in der Urania-Berlin statt. Zunächst wurde der Film „Frau S. will sterben“ gezeigt, eine Dokumentation über den Freitod des langjährigen HVD-Mitglieds Ingrid Sander.
Sie litt seit ihrem achten Lebensjahr an Kinderlähmung und hatte sich vor zehn Jahren an den Berliner Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold um Hilfe gewandt. Seine Zusage ihr notfalls beim Sterben zu helfen, motivierte sie noch zehn Jahre mit ihrer Behinderung und unter wachsenden Einschränkungen weiterzuleben. Kernaussagen von Frau Sander im Film »Ich muss mir die Quälerei bis zum Tod nicht antun. … Das ist ein Vernichtungsschmerz. Ich bin körperlich am Ende. Ich bin eine Ruine.« Sie wollte den Zeitpunkt nicht verpassen, an dem sie ihrem Leben noch selbst ein Ende setzen konnte. Der ursprüngliche Plan wurde dann durch den § 217 StGB vereitelt, sodass sie ihren Sohn bat, wenn es für sie so weit sei, bei ihr zu sein und ihr beim Sterben zu helfen, was im Film dokumentiert wurde. Wie sie sich die nötigen Medikamente besorgt hatte, blieb offen. Bemerkenswert an dem Film war noch die Rede des Abgeordneten Peter Hintze im Bundestag bei der Aussprache zum Gesetzentwurf des § 217 StGB, wo er sagte: „Das Leiden im Sterben ist sinnlos! Kein Mensch muss einen Qualtod hinnehmen.“, was aber die Verabschiedung des Paragrafen nicht verhinderte.
Künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (vor allem im Alter)
Im Anschluss an den Film hat die Medizinethikerin und Vertreterin des HVD Gita Neumann in einem Vortrag die rechtliche Situation der künstlichen Ernährung besonders im Alter erläutert. Dazu hat sie zwei Urteile vorgestellt.
Prinzipiell sieht sie das Sterbefasten als eine humane und gewaltfreie Option, sein Leiden zu begrenzen und dem eigenen Tod entgegen zu gehen an. Bei einem freiwillensfähigen Menschen kein Problem, denn grundsätzlich gilt, dass jeder ärztliche Eingriff einer Zustimmung bedarf, entweder vom Patienten selbst oder, wenn das nicht möglich ist, von einem legitimierten Vertreter. Aber auch die Fortsetzung einer lebenserhaltenden Maßnahme, wie z. B. einer künstlichen Ernährung, muss regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Die Fortführung ohne Indikation, also ohne Nutzen für den Patienten oder gar gegen seine frühere Willensäußerung, ist eine Körperverletzung. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme, für welche es keine Einwilligung gibt, ist ärztlich geboten und keine „aktive Sterbehilfe“, wie durch ein BGH-Urteil vom 25.06.2010 bestätigt. Eine Fortführung ohne Indikation, wurde am 21.12.2017 vom OLG München in einem Musterprozess sogar als sinnlose Leidensverlängerung gewertet, obwohl kein Patientenwillen ermittelbar war. Der Arzt wurde zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 40.000 Euro an den Erben verurteilt.
Zur Aufzeichnung des Vortrags von Gita Neumann auf YouTube …
Künstliche Ernährung aus ärztlicher Sicht – Wohl, Wille oder Wehe?
Der Berliner Arzt Hartmut Klähn berichtete danach über künstliche Ernährung aus ärztlicher Sicht. Er begann mit einem Beispiel aus seiner Hausbesuchspraxis, wo bei einer Patientin ein piependes Ernährungspumpensystem darauf aufmerksam machte, dass die Nährflüssigkeit alle war. In dem Heim piepte es auch aus anderen Zimmern und die Suche nach einer Pflegeperson gestaltete sich mühsam. Er musste feststellten, dass in der Einrichtung eine einzige Fachkraft in der Nachtschicht für alle über vier Etagen verteilten Pflegebedürftigen zuständig war. Einzige Unterstützung war eine des deutschen nicht mächtige Hilfskraft.
Alte Menschen bekommen häufig eine PEG-Magensonde gelegt, wenn sie Nahrung nicht mehr auf natürliche Weise zu sich nehmen. Das kann sein, weil sie krankheitsbedingt nicht schlucken können oder der Sterbeprozess bereits begonnen hat, aber auch weil sie sterben wollen. Als Argument wird oft angeführt, man könne den Menschen doch nicht einfach sterben lassen, obwohl durch mehrere Studien belegt ist, dass gerade bei dementen Menschen, durch eine künstliche Ernährung weder Lebensqualität noch Lebensdauer verbessert werden. Die Unkenntnis dessen, sowie die Unsicherheit von Angehörigen wurde in der Vergangenheit ausgenutzt, um für nicht-einwilligungsfähige Patienten eine Zustimmung zum Legen einer PEG-Magensonde zu erhalten. Klähn beklagte, dass ökonomischer Druck oft handlungsleitend ist und so Leben und Sterben manipulierbar gemacht würden. So komme es, dass in Deutschland jährlich im Durchschnitt 150.000 PEG-Magensonden gelegt werden, ca. 70 Prozent davon ohne klare Indikation. Durch das Einstellen nicht indizierter Lebensverlängerung könnte das Personalproblem in der Pflege und die angespannte Kostensituation erheblich gelindert werden. Diesen Menschen sollte dann unter guter palliativer Betreuung erlaubt sein an ihrer Erkrankung natürlich zu versterben, so wie es früheren Generationen noch möglich war, weil lebenserhaltende Maßnahmen noch nicht so weit entwickelt waren. Er zitierte Dr. Michael de Ridder, der gesagt hat: „die Unfähigkeit und der Widerwille ernährt zu werden, sind als Beginn der finalen Entwicklung einer Erkrankung zu werten.“
Hartmut Klähn stellte den anwesenden Arzt Dr. Christoph Turowski vor, der gerade von einem Berliner Gericht vom Vorwurf der Sterbehilfe freigesprochen worden war.
Er hatte vor fünf Jahren einer Patientin, die seit über 20 Jahren an einer unheilbaren Darmkrankheit litt, seit 13 Jahren seine Patientin war, schon fünf misslungene Suizidversuche hinter sich hatte und damit drohte einen Schienensuizid zu begehen, auf ihren Wunsch ein hochpotentes Schlafmittel verschrieben. Sie teilte ihm dann per SMS mit, dass sie es eingenommen habe, woraufhin er sie mehrfach besuchte bis er nach drei Tagen ihren Tod feststellte. Trotz des Freispruchs muss der Arzt 25.000 Euro an Anwaltskosten aufbringen. Da die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen ist und der Fall nun vom BGHBGH Bundesgerichtshof behandelt werden muss, drohen ihm weitere ca. 40.000 Euro an Anwaltskosten. Wer ihn finanziell unterstützen möchte, kann ihm einen Solidarbeitrag auf sein Konto überweisen: Dr. Christoph Turowski, Postbank Berlin, IBAN DE67100100100643291124, Verwendungszweck: Prozesskosten Suizidhilfe
Im Folgenden beschrieb Hartmut Klähn Vor- und Nachteile einer PEG-Magensonde, wie die Indikationsstellung ermittelt und wie sie operativ angelegt wird. Ein Mangel an Pflegekräften sei niemals eine legitime Indikation. Auch wenn der Sterbeprozess bereits eingesetzt habe, verbiete sich künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Hunger ist kein Schmerz und legt sich bereits nach kurzer Zeit. Gegen Durst muss eine zugewandte und fachgerechte Mundpflege durchgeführt werden, eine Infusion dagegen kann Durst nicht lindern, aber zu zusätzlichen Beschwerden führen.
Abschließend gab er Tipps, wie die Begleitung eines Sterbefastens optimal durchgeführt werden kann und betonte, dass dabei alle Beteiligten verständnisvoll miteinander umgehen sollten. Er sieht im Sterbefasten eine Alternative zu gewaltsamen oder unsicheren Methoden. Nicht zuletzt hofft er auf die Abschaffung des § 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht, um die rechtliche Unsicherheit zu beseitigen und, damit sich die humane Seite des Arztes dann frei entfalten kann.
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Podiumsgespräch mit den Referent*innen und Olaf Sander
Das anschließende Podiumsgespräch wurde von Herrn Dr. Ebel von der Urania moderiert. Er berichtete von seiner Erfahrung mit seiner Mutter, wo er sich nicht in der Lage sah ihr bei ihrem Wunsch früher zu sterben zu helfen.
Olaf Sander erzählte dann, dass Sterben in seiner Familie kein Tabuthema war und sehr aufgeklärt damit umgegangen wurde. Daher empfahl er den Tod, zumindest für einige Menschen, als eine Erlösung vom Leid zu verstehen. Das Angehörige nach aktueller Rechtslage die Einzigen sind, die straflos beim Suizid helfen dürfen, obwohl sie in der Regel dafür in keiner Weise qualifiziert sind, hält er für eine Zumutung.
Gita Neumann wies dann darauf hin, dass viele nicht wissen würden, was in ihrer Patientenverfügung genau stünde und selbst wenn dort lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt würden, dass nicht durchschaut würde, in welchen Situationen dies erst gelten würde. Weiter erklärte sie, dass der § 217 StGB im Vorfeld eines Suizids zur Wirkung kommen würde und jene bedroht, die dazu aufklären würden, bzw. dafür Unterstützung bieten würden. Die palliative Begleitung eines Menschen, der bereits mit dem Fasten begonnen hätte, wäre davon aber ausgenommen.
Olaf Sander berichtete dann davon, was er bei den polizeilichen Ermittlungen erleben musste und empfahl dringend vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und sich dann einen guten Strafverteidiger zu suchen. Auf dem Polizeirevier wurde er dann damit konfrontiert, dass der Beamte den § 217, gegen den er verstoßen haben sollte, nicht im System eintragen konnte, weil er ein Jahr nach der Verabschiedung durch den Bundestag noch nicht zentral eingepflegt worden war. Ersatzweise wurde dann einfach der § 216 (Tötung auf Verlangen!) genommen. Zudem berichtete er, dass vom Notarzt, der seine Mutter nicht gekannt hatte, als Todesursache „schwere depressive Episode“ vermerkt worden war, obwohl es dafür keine äußeren Anzeichen gab. Abschließend gab Sander den Rat, dass alle Beteiligten miteinander reden und sich gegenseitig versuchen sollten zu verstehen.
Herr Ebel beschloss dann den Abend mit einem passenden Zitat von Carl Spitzweg:
Oft denk‘ ich an den Tod, den herben, und wie am End‘ ich’s ausmach‘: Ganz sanft im Schlafe möcht‘ ich sterben – und tot sein, wenn ich aufwach‘!
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Ist die Patientenverfügung gescheitert?
Am 1. September 2019 wurde das Patientenverfügungsgesetz 10 Jahre alt. Da konnte man sich schon fragen: Ist das ein Grund zum Feiern? Im Prinzip ja, aber in vielen Einzelfällen wohl eher nicht, denn die Patientenverfügung gibt es nicht. Es gibt hunderte Anbieter, deren Patientenverfügungen teilweise ähnlich, aber dann doch in wichtigen Punkten unterschiedlich sind. Für einen Laien sind diese Unterschiede kaum zu erkennen und wenn doch, ist die Konsequenz oft nicht offensichtlich. Das Hauptproblem liegt darin, dass eine Patientenverfügung erst zur Anwendung kommt, wenn die Person ihren Willen schon nicht mehr kommunizieren kann. Wer kann dann sagen, ob die Patientenverfügung dem aktuellen Willen der Person entsprechen würde? Ärzte und Pflegekräfte können sich dann aber auf den Text der Verfügung berufen und so oft behaupten, dass die Person in der aktuellen Situation noch vom Sterben abgehalten werden wollte. Wie kann das sein?
Im Patientenverfügungsgesetz wurde festgelegt, dass Volljährige Vorausverfügungen für ihr Lebensende aufsetzen können und diese von Ärzten und Pflegekräften zu beachten sind. Entscheidende Bestimmung darin ist, dass Patientenverfügungen »unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung« gelten können. Das hat weniger Beachtung gefunden als die Bestimmung, dass Festlegungen konkret zu sein haben. Was das genau ist, steht nicht fest, aber hat schon Anwälte und Richter bis zum Bundesgerichtshof beschäftigt.
2004 hatte eine Arbeitsgruppe beim Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJBMJ Bundesministerium der Justiz) Empfehlungen für Patientenverfügungen erarbeitet, die heute noch im Wesentlichen unverändert vom BMJ angeboten werden. Die meisten Anbieter haben sich daran orientiert und verlangen teilweise für etwas Geld, was beim BMJ kostenlos zu haben ist, wie die Verbraucherzentrale festgestellt hat.
Die erste Situationsbeschreibung des BMJ zeigt schon, wie beschränkt die Vorgaben sind, sie lautet: „Wenn ich mich aller Wahrscheinlichkeit nach unabwendbar im unmittelbaren Sterbeprozess befinde.“ Nun kann keiner genau sagen, wann bei einem Menschen der Sterbeprozess begonnen hat, was damit vollständig in die DiagnosehoheitDiagnosehoheit Es braucht medizinische Expertise, um eine Diagnose stellen zu können. von Ärzten gelegt ist. Wenn man sich dann überlegt, dass Krankenhäuser Wirtschaftsunternehmen sind, die mit Behandlungen Geld verdienen wollen/müssen, dann darf unterstellt werden, dass das Interesse, zu diagnostizieren, diese Situation sei eingetreten, aus wirtschaftlicher Sicht gering ist. Was diese Situationsbeschreibung aber noch unwirksamer macht, ist der Umstand, dass sie durch drei Einschränkungen eingeleitet ist, nämlich „aller Wahrscheinlichkeit nach“, „unabwendbar“ und „unmittelbar“. Der PalliativmedizinerPalliativmedizinische Betreuung In der palliativmedizinischen Betreuung geht es um die Versorgung von Menschen mit unheilbaren und weit fortgeschrittenen Erkrankungen sowie begrenzter Lebenserwartung. Vorrang haben dabei die Linderung von Beschwerden und die Steigerung der Lebensqualität. Ärzte können dafür Zusatzausbildungen absolviere und sich dann Palliativmediziner nennen. Matthias Thöns sieht im Effekt ein Sterbeverlängerungskartell am Werk, das am Lebensende teilweise mit Übertherapie noch hohe Gewinne einstreichen will.
BevollmächtigteBevollmächtigte Ein/e Bevollmächtigte/r ist eine vom Vollmachtgeber berufene Person, die in Vertretung der Vollmachtgeberin oder des Vollmachtgebers entscheiden bzw. handeln kann./Angehörige sind da machtlos, weil Ärzte die Diagnosehoheit haben und im Zweifel Juristen nach dem Text der Patientenverfügung urteilen, der zu oft nicht konkret genug ist.
Zum Glück ist das nicht die einzige Situationsbeschreibung. Die zweite sagt, die Verfügung solle beachtet werden, „im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung“. Hier kann man sich aber auch wieder streiten, wann denn das erreicht ist. Um hier ein wenig mehr Sicherheit zu geben, heißt es beim BMJ, dass dies gelten solle, auch „wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist“. Dieser Zusatz bezieht sich allerdings nur auf diese zweite Situationsbeschreibung!
Beim BMJ gibt es dann noch zwei weitere Situationsbeschreibungen, nämlich zunächst bezogen auf eine schwere Hirnschädigung, bei der zwei Ärzte diagnostiziert haben müssen, dass keine Besserung zu erwarten ist. Man darf sich fragen, warum dies zwei Ärzte diagnostizieren müssen. Ist zu erwarten, dass ein Arzt zu früh diese seltene Diagnose stellt? Unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen wohl eher nicht. Diese eingebaute Hürde führt dann eher dazu, dass länger behandelt wird, zumal nicht immer gleich ein Arzt zur Verfügung steht, der qualifiziert ist, die verlangte Zweitdiagnose zu stellen. Wenn auf der anderen Seite aber, ein BevollmächtigterBevollmächtigte Ein/e Bevollmächtigte/r ist eine vom Vollmachtgeber berufene Person, die in Vertretung der Vollmachtgeberin oder des Vollmachtgebers entscheiden bzw. handeln kann. der Meinung ist, die erste Diagnose würde nicht zutreffen und der Patient solle weiterbehandelt werden, steht einem nach geltendem Recht zu, eine Zweitmeinung einzuholen oder die Behandlung einem anderen Arzt zu überantworten. Warum also zwei Diagnosen bindend vorschreiben? Auch hier kann man sich fragen: Wem nützt das?
Die vierte und letzte Situationsbeschreibung, die das BMJ anbietet, bezieht sich auf eine weit fortgeschrittene Demenz. Kriterium ist hier, dass der Patient Nahrung und Flüssigkeit, selbst bei ausdauernder Hilfestellung, schon nicht mehr auf natürliche Weise zu sich nimmt. Nicht mehr essen zu können, ist schon schlimm genug, aber wer möchte dann noch durch orale Flüssigkeitsgabe (z. B. mit einer Schnabeltasse) vom Sterben abgehalten werden? Dass ein sterbender Mensch keinen Durst leiden soll, ist selbstverständlich, doch kann das durch fachgerechte Mund- und Schleimhautpflege einfach bewirkt werden.
Nun gibt es Anbieter von Patientenverfügungen, die zugleich Betreiber von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sind. Wie ist es zu verstehen, dass bei dem deutschlandweit größten dieser Anbieter, nicht nur die Situationen schwere Hirnschädigung und weit fortgeschrittene Demenz nicht angeboten werden, sondern auch der Zusatz bei der zweiten Situation: „wenn der Todeszeitpunkt noch nicht absehbar ist“ gestrichen wurde? Damit ist sichergestellt, dass Patienten, die dessen Patientenverfügung nutzen, noch sehr lange legal vom Sterben abgehalten werden können.
Vorsorgewillige, denen diese sogenannte „Christliche Patientenvorsorge“ vorgelegt wird, können glauben, dass sie damit abgesichert sind. Doch dürfte häufig selbst derjenige, der diese Broschüre aushändigt, nicht wissen, wie eingeschränkt sie ist. Auch dürfte sich nicht jede/r die Mühe machen, die ganze 46-seitige Broschüre durchzulesen. Dort steht auf Seite 21f tatsächlich, wie die Situationen erweitert werden könnten, aber beispielhaft nur auf die schwere Hirnschädigung bezogen. Dort finden wir die Situationsbeschreibung des BMJ wieder, jedoch mit dem Zusatz, dass sie nur gelten soll, wenn „eine akute Zweiterkrankung hinzukommt“.
Es wäre wünschenswert gewesen, wenn das BMJ 2009 seine Patientenverfügungs-Empfehlung gemäß dem Gesetz weiterentwickelt hätte. Alternativ könnte es auch hilfreich sein, wenn es eine Instanz gäbe, die die Angebote der verschiedenen Anbieter vergleicht und ein Qualitätsurteil abgibt, so wie wir es von der Stiftung Warentest auf andere Produkte bezogen kennen. Leider haben die Verbraucherzentralen sich dadurch disqualifiziert, dass sie eine eigene Patientenverfügungsbroschüre herausgeben und die natürlich für das Nonplusultra halten.