Am 26.03.2018 fand eine Informationsveranstaltung zum Leid, sterben zu wollen unter Mitwirkung des Humanistischen Verbands Berlin-Brandenburg, KdöR (HVD) in der Urania-Berlin statt. Zunächst wurde der Film „Frau S. will sterben“ gezeigt, eine Dokumentation über den Freitod des langjährigen HVD-Mitglieds Ingrid Sander.
Sie litt seit ihrem achten Lebensjahr an Kinderlähmung und hatte sich vor zehn Jahren an den Berliner Sterbehelfer Uwe-Christian Arnold um Hilfe gewandt. Seine Zusage ihr notfalls beim Sterben zu helfen, motivierte sie noch zehn Jahre mit ihrer Behinderung und unter wachsenden Einschränkungen weiterzuleben. Kernaussagen von Frau Sander im Film »Ich muss mir die Quälerei bis zum Tod nicht antun. … Das ist ein Vernichtungsschmerz. Ich bin körperlich am Ende. Ich bin eine Ruine.« Sie wollte den Zeitpunkt nicht verpassen, an dem sie ihrem Leben noch selbst ein Ende setzen konnte. Der ursprüngliche Plan wurde dann durch den § 217 StGB vereitelt, sodass sie ihren Sohn bat, wenn es für sie so weit sei, bei ihr zu sein und ihr beim Sterben zu helfen, was im Film dokumentiert wurde. Wie sie sich die nötigen Medikamente besorgt hatte, blieb offen. Bemerkenswert an dem Film war noch die Rede des Abgeordneten Peter Hintze im Bundestag bei der Aussprache zum Gesetzentwurf des § 217 StGB, wo er sagte: „Das Leiden im Sterben ist sinnlos! Kein Mensch muss einen Qualtod hinnehmen.“, was aber die Verabschiedung des Paragrafen nicht verhinderte.
Künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (vor allem im Alter)
Im Anschluss an den Film hat die Medizinethikerin und Vertreterin des HVD Gita Neumann in einem Vortrag die rechtliche Situation der künstlichen Ernährung besonders im Alter erläutert. Dazu hat sie zwei Urteile vorgestellt.
Prinzipiell sieht sie das Sterbefasten als eine humane und gewaltfreie Option, sein Leiden zu begrenzen und dem eigenen Tod entgegen zu gehen an. Bei einem freiwillensfähigen Menschen kein Problem, denn grundsätzlich gilt, dass jeder ärztliche Eingriff einer Zustimmung bedarf, entweder vom Patienten selbst oder, wenn das nicht möglich ist, von einem legitimierten Vertreter. Aber auch die Fortsetzung einer lebenserhaltenden Maßnahme, wie z. B. einer künstlichen Ernährung, muss regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft werden. Die Fortführung ohne Indikation, also ohne Nutzen für den Patienten oder gar gegen seine frühere Willensäußerung, ist eine Körperverletzung. Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme, für welche es keine Einwilligung gibt, ist ärztlich geboten und keine „aktive Sterbehilfe“, wie durch ein BGH-Urteil vom 25.06.2010 bestätigt. Eine Fortführung ohne Indikation, wurde am 21.12.2017 vom OLG München in einem Musterprozess sogar als sinnlose Leidensverlängerung gewertet, obwohl kein Patientenwillen ermittelbar war. Der Arzt wurde zu einer Schmerzensgeldzahlung in Höhe von 40.000 Euro an den Erben verurteilt.
Zur Aufzeichnung des Vortrags von Gita Neumann auf YouTube …
Künstliche Ernährung aus ärztlicher Sicht – Wohl, Wille oder Wehe?
Der Berliner Arzt Hartmut Klähn berichtete danach über künstliche Ernährung aus ärztlicher Sicht. Er begann mit einem Beispiel aus seiner Hausbesuchspraxis, wo bei einer Patientin ein piependes Ernährungspumpensystem darauf aufmerksam machte, dass die Nährflüssigkeit alle war. In dem Heim piepte es auch aus anderen Zimmern und die Suche nach einer Pflegeperson gestaltete sich mühsam. Er musste feststellten, dass in der Einrichtung eine einzige Fachkraft in der Nachtschicht für alle über vier Etagen verteilten Pflegebedürftigen zuständig war. Einzige Unterstützung war eine des deutschen nicht mächtige Hilfskraft.
Alte Menschen bekommen häufig eine PEG-Magensonde gelegt, wenn sie Nahrung nicht mehr auf natürliche Weise zu sich nehmen. Das kann sein, weil sie krankheitsbedingt nicht schlucken können oder der Sterbeprozess bereits begonnen hat, aber auch weil sie sterben wollen. Als Argument wird oft angeführt, man könne den Menschen doch nicht einfach sterben lassen, obwohl durch mehrere Studien belegt ist, dass gerade bei dementen Menschen, durch eine künstliche Ernährung weder Lebensqualität noch Lebensdauer verbessert werden. Die Unkenntnis dessen, sowie die Unsicherheit von Angehörigen wurde in der Vergangenheit ausgenutzt, um für nicht-einwilligungsfähige Patienten eine Zustimmung zum Legen einer PEG-Magensonde zu erhalten. Klähn beklagte, dass ökonomischer Druck oft handlungsleitend ist und so Leben und Sterben manipulierbar gemacht würden. So komme es, dass in Deutschland jährlich im Durchschnitt 150.000 PEG-Magensonden gelegt werden, ca. 70 Prozent davon ohne klare Indikation. Durch das Einstellen nicht indizierter Lebensverlängerung könnte das Personalproblem in der Pflege und die angespannte Kostensituation erheblich gelindert werden. Diesen Menschen sollte dann unter guter palliativer Betreuung erlaubt sein an ihrer Erkrankung natürlich zu versterben, so wie es früheren Generationen noch möglich war, weil lebenserhaltende Maßnahmen noch nicht so weit entwickelt waren. Er zitierte Dr. Michael de Ridder, der gesagt hat: „die Unfähigkeit und der Widerwille ernährt zu werden, sind als Beginn der finalen Entwicklung einer Erkrankung zu werten.“
Hartmut Klähn stellte den anwesenden Arzt Dr. Christoph Turowski vor, der gerade von einem Berliner Gericht vom Vorwurf der Sterbehilfe freigesprochen worden war.
Er hatte vor fünf Jahren einer Patientin, die seit über 20 Jahren an einer unheilbaren Darmkrankheit litt, seit 13 Jahren seine Patientin war, schon fünf misslungene Suizidversuche hinter sich hatte und damit drohte einen Schienensuizid zu begehen, auf ihren Wunsch ein hochpotentes Schlafmittel verschrieben. Sie teilte ihm dann per SMS mit, dass sie es eingenommen habe, woraufhin er sie mehrfach besuchte bis er nach drei Tagen ihren Tod feststellte. Trotz des Freispruchs muss der Arzt 25.000 Euro an Anwaltskosten aufbringen. Da die Staatsanwaltschaft in Revision gegangen ist und der Fall nun vom BGHBGH Bundesgerichtshof behandelt werden muss, drohen ihm weitere ca. 40.000 Euro an Anwaltskosten. Wer ihn finanziell unterstützen möchte, kann ihm einen Solidarbeitrag auf sein Konto überweisen: Dr. Christoph Turowski, Postbank Berlin, IBAN DE67100100100643291124, Verwendungszweck: Prozesskosten Suizidhilfe
Im Folgenden beschrieb Hartmut Klähn Vor- und Nachteile einer PEG-Magensonde, wie die Indikationsstellung ermittelt und wie sie operativ angelegt wird. Ein Mangel an Pflegekräften sei niemals eine legitime Indikation. Auch wenn der Sterbeprozess bereits eingesetzt habe, verbiete sich künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr. Hunger ist kein Schmerz und legt sich bereits nach kurzer Zeit. Gegen Durst muss eine zugewandte und fachgerechte Mundpflege durchgeführt werden, eine Infusion dagegen kann Durst nicht lindern, aber zu zusätzlichen Beschwerden führen.
Abschließend gab er Tipps, wie die Begleitung eines Sterbefastens optimal durchgeführt werden kann und betonte, dass dabei alle Beteiligten verständnisvoll miteinander umgehen sollten. Er sieht im Sterbefasten eine Alternative zu gewaltsamen oder unsicheren Methoden. Nicht zuletzt hofft er auf die Abschaffung des § 217 StGB durch das Bundesverfassungsgericht, um die rechtliche Unsicherheit zu beseitigen und, damit sich die humane Seite des Arztes dann frei entfalten kann.
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Podiumsgespräch mit den Referent*innen und Olaf Sander
Das anschließende Podiumsgespräch wurde von Herrn Dr. Ebel von der Urania moderiert. Er berichtete von seiner Erfahrung mit seiner Mutter, wo er sich nicht in der Lage sah ihr bei ihrem Wunsch früher zu sterben zu helfen.
Olaf Sander erzählte dann, dass Sterben in seiner Familie kein Tabuthema war und sehr aufgeklärt damit umgegangen wurde. Daher empfahl er den Tod, zumindest für einige Menschen, als eine Erlösung vom Leid zu verstehen. Das Angehörige nach aktueller Rechtslage die Einzigen sind, die straflos beim Suizid helfen dürfen, obwohl sie in der Regel dafür in keiner Weise qualifiziert sind, hält er für eine Zumutung.
Gita Neumann wies dann darauf hin, dass viele nicht wissen würden, was in ihrer Patientenverfügung genau stünde und selbst wenn dort lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt würden, dass nicht durchschaut würde, in welchen Situationen dies erst gelten würde. Weiter erklärte sie, dass der § 217 StGB im Vorfeld eines Suizids zur Wirkung kommen würde und jene bedroht, die dazu aufklären würden, bzw. dafür Unterstützung bieten würden. Die palliative Begleitung eines Menschen, der bereits mit dem Fasten begonnen hätte, wäre davon aber ausgenommen.
Olaf Sander berichtete dann davon, was er bei den polizeilichen Ermittlungen erleben musste und empfahl dringend vom Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen und sich dann einen guten Strafverteidiger zu suchen. Auf dem Polizeirevier wurde er dann damit konfrontiert, dass der Beamte den § 217, gegen den er verstoßen haben sollte, nicht im System eintragen konnte, weil er ein Jahr nach der Verabschiedung durch den Bundestag noch nicht zentral eingepflegt worden war. Ersatzweise wurde dann einfach der § 216 (Tötung auf Verlangen!) genommen. Zudem berichtete er, dass vom Notarzt, der seine Mutter nicht gekannt hatte, als Todesursache „schwere depressive Episode“ vermerkt worden war, obwohl es dafür keine äußeren Anzeichen gab. Abschließend gab Sander den Rat, dass alle Beteiligten miteinander reden und sich gegenseitig versuchen sollten zu verstehen.
Herr Ebel beschloss dann den Abend mit einem passenden Zitat von Carl Spitzweg:
Oft denk‘ ich an den Tod, den herben, und wie am End‘ ich’s ausmach‘: Ganz sanft im Schlafe möcht‘ ich sterben – und tot sein, wenn ich aufwach‘!
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