Betreff: Situation für Pflegende und Menschen am Lebensende verbessern
Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Lauterbach,
ich sehe es als ein gutes Zeichen, dass Sie darüber nachdenken, die Fallpauschalen zu überarbeiten oder sogar abzuschaffen. In Ihrem Begleitwort zum Buch »Patient ohne Verfügung« von Dr. Matthias Thöns schrieben Sie 2016: Da werden Menschen entgegen ihrem Willen teils über Jahre durch Apparatemedizin am Sterben gehindert, oder es wird Chemotherapie mit starken Nebenwirkungen in den letzten Lebenswochen und Tagen verabreicht. Thöns [Er] berichtet auch von Strahlentherapie und Operationen kurz vor dem Lebensende, bei denen schon vor dem Eingriff klar war, dass sie nicht dem Patienten, sondern nur noch der abrechnenden Klinik nutzen würden. Auch in Fällen von Nieren‑, Lungen- oder Herzversagen berichtet er vom fragwürdigen Einsatz der Apparatemedizin zulasten schwer kranker Menschen. Eindrücklich bestätigt er so, dass wir in unserer Gesellschaft ein Problem mit Übertherapie am Lebensende haben.
Dr. Thöns schöpfte dafür in seinem Buch den Begriff Sterbeverlängerungskartell!
Neben ökonomischen Fehlanreizen sind das zweite Problem: die Patientenverfügungen, die häufig wirkungslos sind oder nicht beachtet werden. 2004 hatte das BMJBMJ Bundesministerium der Justiz das Ergebnis der Kutzer-Kommission zum Thema Patientenverfügung als eine Empfehlung mit vier Situationsbeschreibungen veröffentlicht, die aber alle in der DiagnosehoheitDiagnosehoheit Es braucht medizinische Expertise, um eine Diagnose stellen zu können. von Ärzten liegen und zudem durch Einschränkungen wie »aller Wahrscheinlichkeit nach«, »unmittelbar« und »unabwendbar« verwässert wurden. Diese Empfehlung wurde auf der Website des BMJ und in Broschüren veröffentlicht, und von hunderten Anbietern kopiert, die teilweise sogar Geld für etwas verlangen, was beim BMJ kostenlos herunterzuladen ist.
An den Situationsbeschreibungen änderte sich selbst dann nichts, als 2009 der Bundestag das sogenannte Patientenverfügungsgesetz beschloss, in dem es u. a. heißt: Patientenverfügungen gelten unabhängig von Art und Stadium einer Erkrankung und müssen konkret sein. Die Broschüre wurde zwar jeweils neu aufgelegt, wenn ein neuer Minister oder eine Ministerin das Justizministerium übernahm, um das eigene Bild und Vorwort darin zu veröffentlichen, aber an den Situationsbeschreibungen änderte sich nichts.
Immerhin brachten die beiden großen Kirchen im Jahr nach der Verabschiedung des Gesetzes eine eigene Broschüre Patientenvorsorge heraus, in der aber zwei Situationen, nämlich die bezüglich weit fortgeschrittener Demenz und schwerer Hirnschädigung ersatzlos gestrichen sind. Die Kirchen hatten aber Vertreter in der Kutzer-Kommission gehabt und so die vier Situationen der weitergehenden BMJ-Verfügung mitentwickelt. Da fragt man sich: Cui bono? Wem nützt die Christliche Patientenvorsorge? Jedenfalls nicht den Menschen, die mit einer Patientenverfügung gehofft hatten, am Lebensende friedlich, natürlich, würdevoll und möglichst im eigenen Zuhause versterben zu können. Die Autorität des BMJ oder der Kirchen blendet die Menschen und verführt sie, weitestgehend wirkungslose Patientenverfügungen zu unterschreiben, in der Hoffnung, damit gut vorgesorgt zu haben.
Es ist hohe Zeit, die Vorgaben des BMJ zu ersetzen, durch Vorgaben, die weitergehende Angebote enthalten und rechtssicher und konkret sind. Ich habe nach über 20 Jahren Erfahrung im Bereich Vorsorge und HospizHospiz Ein Hospiz ist eine Einrichtung der Sterbebegleitung, die meist über nur wenige Betten verfügt und ähnlich wie ein kleines Pflegeheim organisiert ist. Dort wird das Ziel verfolgt, sterbenden Menschen ein würdiges und selbstbestimmtes Leben bis zuletzt zu ermöglichen. Nur wer als Palliativpatient eingestuft ist und (noch) nicht in einer stationären Pflegeeinrichtung lebt, kann in ein Hospiz kommen. Wegen der wenigen Betten, kann es schwer sein, einen Hospizplatz zu bekommen. Alternativ gibt es ambulante Hospizdienste, die auch in Pflegeeinrichtungen oder Zuhause Sterbende begleiten, aber nicht pflegen. eine individuell-konkrete Patientenverfügung entwickelt, die acht weitergehende Situationen anbietet. Eine ausgearbeitete Mustermappe plus AuswahlbogenAuswahlbogen Der Auswahlbogen ist eine Art Formular, in dem alle wichtigen Optionen mit möglichen Alternativen bzw. Erweiterungen zur Auswahl aufgeführt sind. Durch Ankreuzen der gewünschten Situationen und Festlegungen erfolgt die Auswahl der Inhalte, die in die Vorsorgedokumente übernommen und ausgedruckt werden. habe ich Ihnen beigelegt. Wenn sich diese Patientenverfügung durchsetzt, dürften sich die Kosten unseres Krankensystems langfristig reduzieren. Zudem würden Pflegekräfte moralisch entlastet werden, weil sie Menschen nicht mehr in Situationen betreuen müssen, die sie für menschenunwürdig und quälend halten, und deshalb frustriert den Job aufgeben.
Mit freundlichen Grüßen
gezeichnet, Frank Spade
Dieser Brief wurde einschließlich einer Muster-VorsorgemappeVorsorgemappe Eine Vorsorgemappe ist eine Art Schnellhefter, in der alle wichtigen Vorsorgedokumente zusammen abgelegt sind. Die Mappe ist mit dem Namen und Geburtsdatum der betreffenden Person beschriftet. Als erstes Dokument ist die Patientenverfügung durch die durchsichtige Vorderseite zu sehen., am 27. Februar, im Rahmen des Festakts 10 Jahre Patientenrechtegesetz und 17. Patientenfürsprechertag 2023, im Haus der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, an den Bundesgesundheitsminister Professor Karl Lauterbach übergeben. Bis heute kam dazu leider noch keine Reaktion.