Droht eine »Ökonomisierung des Sterbens?«

Bezugnehmend auf das Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben die katholische und evangelische Kirche in Baden-Württemberg eine neue Stellungnahme veröffentlicht. Darin warnen sie vor einer »Ökonomisierung des Sterbens«, die durch eine liberale Regelung der Sterbehilfe drohe. Was ist davon zu halten?

Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat­te im Febru­ar geur­teilt, dass das 2015 beschlos­se­ne Ver­bot der pro­fes­sio­nel­len Ster­be­hil­fe mit dem Recht auf Selbst­be­stim­mung unver­ein­bar ist. Das Urteil stell­te damit eine 150-jäh­ri­ge Rechts­tra­di­ti­on wie­der her, die nicht zuletzt wegen kirch­li­chen Lob­by­ak­ti­vi­tä­ten außer Kraft gesetzt wur­de. In sei­ner Ent­schei­dung stell­te das Gericht dabei unmiss­ver­ständ­lich klar, dass es sich bei dem § 217 StGB um ein »auto­no­mie­feind­li­ches« Gesetz gehan­delt habe, das dem Geist unse­rer Ver­fas­sung wider­spricht. Der Hal­tung der Kir­chen und ihren Ver­bots­be­stre­bun­gen wur­de damit eine kla­re Absa­ge erteilt.

Die baden-würt­tem­ber­gi­schen Kir­chen haben nun in einer gemein­sa­men Stel­lung­nah­me auf das Urteil reagiert. Sie war­nen dar­in vor einem mög­li­chen Damm­bruch, der zu »unfrei­wil­li­gen Maß­nah­men« und zur »Abqua­li­fi­zie­rung von mensch­li­chem Leben als lebens­un­wert« füh­ren könn­te: Fer­ner kön­ne einer Öko­no­mi­sie­rung des Ster­bens Vor­schub geleis­tet wer­den: »Es besteht die Gefahr, dass mit dem Argu­ment der Selbst­be­stim­mung öko­no­mi­sier­te Fremd­be­stim­mung ein­zieht. Das bedroht die Sor­ge für Schwa­che und mit­hin die Men­schen­wür­de mas­siv«, heißt es dazu in dem Papier. Doch ist die­se Sor­ge berech­tigt? Gibt es tat­säch­lich Hin­wei­se dar­auf, dass nun ein Geschäft mit dem Tod betrie­ben wird, wel­ches die Men­schen­wür­de gefähr­det? Um die­se Fra­gen zu klä­ren, lohnt ein Blick auf die öko­no­mi­sche Rele­vanz der Ster­be­hil­fe. Bei einer umfas­sen­de­ren Betrach­tung wird schließ­lich deut­lich, dass das Pro­blem einer »Öko­no­mi­sie­rung des Ster­bens« momen­tan an ande­rer Stel­le liegt, was von den Kir­chen aber bis­lang kaum the­ma­ti­siert wird.

Sterbehilfe – Ein lukratives Geschäftsmodell?

Wie vie­le Per­so­nen bis­her Ster­be­hil­fe in Deutsch­land ent­we­der ange­bo­ten oder in Anspruch genom­men haben, lässt sich nicht genau bestim­men. Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt star­ben 2017 min­des­tens 9.235 Per­so­nen durch Selbst­tö­tung. Der­zeit lie­gen aller­dings kei­ne ver­läss­li­chen Daten dazu vor, wie vie­le assis­tier­te Sui­zi­de unter wel­chen Umstän­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren durch­ge­führt wur­den. In den offi­zi­el­len behörd­li­chen Sta­tis­ti­ken zu den Todes­ur­sa­chen wer­den sie nicht gelis­tet. Bekannt ist, dass zwi­schen 1998 und 2019 ins­ge­samt 1.322 deut­sche Staats­bür­ge­rin­nen und Staats­bür­ger Frei­tod­be­glei­tun­gen bei der Ster­be­hil­fe­or­ga­ni­sa­ti­on Digni­tas in der Schweiz in Anspruch nah­men. Anders als die mit­glie­der­stärks­te Schwei­zer Ster­be­hil­fe-Ver­ei­ni­gung Exit bie­tet Digni­tas neben klei­ne­ren Orga­ni­sa­tio­nen wie lifecir­cle und Ex Inter­na­tio­nal auch eine Beglei­tung für Aus­län­der an.

Für die Durch­füh­rung einer Frei­tod­be­glei­tung ver­an­schlagt Digni­tas im Regel­fall einen Betrag von 10.500 CHF. Dar­in ent­hal­ten sind Kos­ten für Büro­kra­tie, Behör­den, Bestat­ter und ins­be­son­de­re auch Ärz­te. Für die Frei­tod­be­glei­tung an sich blei­ben kaum mehr als rund 2.500 CHF. Eine Redu­zie­rung oder ein Erlass der Bei­trä­ge kann von den Mit­glie­dern bean­tragt wer­den. In einem ähn­li­chen Preis­rah­men bewegt sich die Frei­tod­be­glei­tung durch den Ver­ein Ster­be­hil­fe Deutsch­land, der sei­ne Tätig­keit nach dem Inkraft­tre­ten des Ver­bots der geschäfts­mä­ßi­gen Ster­be­hil­fe unter­bro­chen hat­te. Der Ver­ein leis­te­te nur für sei­ne Mit­glie­der eine Sui­zid­as­sis­tenz – laut eige­nen Anga­ben in 162 Fäl­len im Lau­fe der ers­ten fünf Jah­re sei­nes Bestehens seit 2009.

Weder Digni­tas noch Ster­be­hil­fe Deutsch­land ver­fol­gen gemäß ihrer Sat­zung kom­mer­zi­el­le oder gewerb­li­che Inter­es­sen. Dem Selbst­ver­ständ­nis nach ist Digni­tas viel­mehr eine Orga­ni­sa­ti­on, die mit Hil­fe eines Bera­tungs­an­ge­bo­tes soge­nann­te »Sui­zid­ver­suchs­prä­ven­ti­on« betreibt. Men­schen von einem Ver­zweif­lungs­sui­zid abzu­hal­ten, kön­ne näm­lich nur dort gelin­gen, wo offen und tabu­los gespro­chen wer­den darf. Im Fal­le einer inter­na­tio­na­len Inte­gra­ti­on der Ster­be­hil­fe in die Gesund­heits- und Sozi­al­we­sen wol­le man die Tätig­kei­ten des Ver­eins zudem ein­stel­len.

Was die nicht-orga­ni­sier­te, pri­va­te Frei­tod­be­glei­tung betrifft, lie­gen kei­ne Hin­wei­se auf ein finan­zi­el­les Gewinn­stre­ben vor. Wie der Ber­li­ner Arzt und Ster­be­hel­fer Uwe-Chris­ti­an Arnold in sei­nem Buch »Letz­te Hil­fe – Ein Plä­doy­er für das selbst­be­stimm­te Ster­ben« erklärt, sei es ihm selbst auf­grund lang­jäh­ri­ger Berufs­pra­xis mög­lich gewe­sen, Frei­tod­be­glei­tun­gen ohne Ver­gü­tung durch­zu­füh­ren. Von Fall zu Fall habe es ver­schie­de­ne Bezah­lun­gen gege­ben. In eini­gen Fäl­len sei er über den ärzt­li­chen Regel­ta­rif bezahlt wor­den, in ande­ren dar­un­ter. Manch­mal sei­en ihm nicht ein­mal die Rei­se­kos­ten erstat­tet wor­den.

Von einem lukra­ti­ven Geschäfts­mo­dell kann also weder bei der orga­ni­sier­ten noch bei der pri­va­ten Frei­tod­be­glei­tung die Rede sein. Dazu fehlt es schlicht an kon­kre­ten Bele­gen, die eine sol­che Hypo­the­se stüt­zen könn­ten. Solan­ge dies der Fall ist, bleibt der Vor­wurf eine halt­lo­se Unter­stel­lung, die deut­lich zurück­ge­wie­sen wer­den muss.

Ökonomisierungsdruck durch Sterbehilfe?

Inwie­fern lässt sich nun ein Öko­no­mi­sie­rungs­druck in Bezug auf die Ster­be­hil­fe aus­fin­dig machen? Zur Beant­wor­tung der Fra­ge müs­sen unter­schied­li­che Ebe­nen des Sach­ver­hal­tes betrach­tet wer­den: Soll­ten ster­be­wil­li­ge Men­schen aus öko­no­mi­schen Grün­den Ster­be­hil­fe in Anspruch neh­men, geschä­he dies pri­mär mit der Absicht einer Ver­lust­ver­mei­dung – im mög­li­chen Inter­es­se der Ange­hö­ri­gen sowie der Gesell­schaft. Ob eine sol­che Absicht tat­säch­lich hand­lungs­lei­tend ist, ist aller­dings nicht empi­risch belegt. Es gibt eben­so wenig Hin­wei­se, dass sich dies in naher Zukunft ändern könn­te. Umfra­gen aus dem Aus­land zei­gen viel­mehr, dass Ster­be­wil­li­ge meist meh­re­re Grün­de für ihren Ster­be­wunsch anga­ben. Es gibt kei­nen Hin­weis dar­auf, dass die Sor­ge, ande­ren zur Last zu fal­len, ein­zi­ger Grund für einen Sui­zid gewe­sen wäre. Im Vor­der­grund steht bei den meis­ten Ster­be­wil­li­gen die emp­fun­de­ne Lebens­qua­li­tät sowie der indi­vi­du­el­le Auto­no­mie­ver­lust.

Die Debat­te über die Zuläs­sig­keit der Sui­zid­as­sis­tenz ist bis heu­te von der reli­giö­sen Vor­stel­lung einer Unver­füg­bar­keit des mensch­li­chen Lebens geprägt. Die­se wird jedoch zuneh­mend durch die Vor­stel­lung eines auto­no­men Sub­jekts abge­löst, das für sich in Anspruch nimmt, frei über den Zeit­punkt und die Art des eige­nen Ster­bens zu ent­schei­den. Das Ange­bot der Ster­be­hel­fer ist daher eine Fol­ge der stei­gen­den Nach­fra­ge nach einem selbst­be­stimm­ten Leben und Ster­ben – nicht der Grund für eine Öko­no­mi­sie­rung. Die Kri­mi­na­li­sie­rung der Ster­be­hil­fe könn­te dage­gen zu einer Öko­no­mi­sie­rung des Ster­bens bei­tra­gen – zu Las­ten schwerst­kran­ker Men­schen. Denn dadurch besteht die Gefahr, dass die finan­zi­el­le Situa­ti­on eines Men­schen dar­über ent­schei­det, ob er der eige­nen Wür­de­vor­stel­lung gemäß ster­ben darf oder nicht. Man­che Ster­be­wil­li­ge wür­den ihren Wunsch nach einem assis­tier­ten Sui­zid trotz Ver­bot und unter gro­ßem Auf­wand in Deutsch­land erfül­len oder die Dienst­leis­tung einer Ster­be­hil­fe­or­ga­ni­sa­ti­on im Aus­land in Anspruch neh­men.

Ökonomisierung des Sterbens – Der blinde Fleck

Neben der Ster­be­hil­fe gilt es einen wich­ti­gen Aspekt zu beleuch­ten, der in der Fra­ge nach einer Öko­no­mi­sie­rung des Ster­bens nicht außer Acht gelas­sen wer­den darf: Die Auto­no­mie und Wür­de von ster­ben­den Men­schen ist nicht pri­mär durch eine gewünsch­te Lebens­ver­kür­zung bedroht, son­dern viel­mehr durch lebens­er­hal­ten­de und ‑ver­län­gern­de Maß­nah­men, die nicht im Inter­es­se der Ster­ben­den ste­hen und damit ihre Pati­en­ten­au­to­no­mie ver­let­zen. Ent­spre­chen­de For­men der Über­the­ra­pie kön­nen durch­aus aus einem Öko­no­mi­sie­rungs­druck ent­ste­hen.

Ent­ge­gen der weit ver­brei­te­ten Hoff­nung, dass der Tod mög­lichst schnell und unvor­be­rei­tet ein­tre­ten wird, sieht die Rea­li­tät in Zei­ten der moder­nen Gerä­te­me­di­zin und rasan­ter medi­zi­ni­scher Ent­wick­lung anders aus. Denn immer weni­ger Men­schen in den Indus­trie­na­tio­nen wer­den plötz­lich aus dem Leben geris­sen. Für vie­le endet das Leben erst nach einem bewuss­ten Ver­zicht auf lebens­er­hal­ten­de Behand­lungs­maß­nah­men. Vor dem Ein­tritt des Todes geht nicht sel­ten ein lang­jäh­ri­ger Krank­heits­ver­lauf vor­aus. Ein wach­sen­der Teil der deut­schen Bevöl­ke­rung stirbt dabei immer häu­fi­ger unter insti­tu­tio­na­li­sier­ten und tech­ni­sier­ten Rah­men­be­din­gun­gen, bei denen öko­no­mi­sche Pro­zes­se eine weit­aus grö­ße­re und weit­rei­chen­de­re Bedeu­tung ein­neh­men als im pri­va­ten Umfeld. So ist der Anteil der Todes­fäl­le im Kran­ken­haus mit Durch­füh­rung einer inten­siv­the­ra­peu­ti­schen Behand­lung zwi­schen 2007 und 2015 von 9,8 auf 11,8 Pro­zent gestie­gen.

Auch durch den demo­gra­fi­schen Wan­del wächst die gesund­heits­öko­no­mi­sche Rele­vanz des Ster­bens. Denn die Gesund­heits­aus­ga­ben stei­gen kurz vor dem Tod expo­nen­ti­ell an. Aus die­sem Kos­ten­an­stieg folgt ein Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen dem Inter­es­se der Ster­ben­den auf der einen und öko­no­mi­schen Fak­to­ren auf der ande­ren Sei­te. Denn aus rein öko­no­mi­scher Per­spek­ti­ve haben Kran­ken­häu­ser und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen durch­aus ein Inter­es­se an einem mög­lichst lang­an­hal­ten­den Ster­be­pro­zess unter medi­zi­ni­scher Inten­siv­be­treu­ung: »Das Inter­es­se der tech­ni­sier­ten Medi­zin besteht im Ein­satz aller zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel, solan­ge die­se bezahlt wer­den«, meint dazu etwa der Sozio­lo­ge Andre­as Kögel. In die­sem Zusam­men­hang erklärt der Sach­ver­stän­di­gen­rat zur Begut­ach­tung der Ent­wick­lung im Gesund­heits­we­sen: »Unter Effi­zi­enz- und Effek­ti­vi­täts­aspek­ten bil­den der­zeit weni­ger das – aus inter­na­tio­na­ler Per­spek­ti­ve umfang­rei­che – Spek­trum des Leis­tungs­ka­ta­lo­ges der gesetz­li­chen Kran­ken­ver­si­che­run­gen als viel­mehr der nicht-indi­ka­ti­ons- und situa­ti­ons­be­zo­ge­ne Ein­satz der jewei­li­gen Leis­tun­gen und ihre zu inten­si­ve Nut­zung das zen­tra­le medi­zi­ni­sche und öko­no­mi­sche Pro­blem.«

Die Fra­ge, inwie­fern von einer Öko­no­mi­sie­rung in Bezug auf lebens­ver­län­gern­de und pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Maß­nah­men die Rede sein kann, steht nicht zuletzt im Kon­text des Finan­zie­rungs- und Ver­gü­tungs­sys­tems der Kran­ken­häu­ser, das im Lau­fe der Jah­re einem star­ken Wan­del aus­ge­setzt war. Mit dem 1984 erlas­se­nen Kran­ken­haus­neu­ord­nungs­ge­setz (KHNG) wur­de neben der pro­spek­ti­ven Selbst­kos­ten­de­ckung eine fle­xi­ble Bud­ge­tie­rung ein­ge­führt, die erst­mals Gewinn­erzie­lungs­ab­sich­ten zuließ. Zudem wur­de mit dem Inkraft­tre­ten des Gesund­heits­struk­tur­ge­set­zes (GSG) im Jahr 1993 und der Ände­rung der Bun­des­pfle­ge­satz­ver­ord­nung (BPflV) im Jahr 1994 eine grund­le­gen­de Reform der Kran­ken­haus­fi­nan­zie­rung ein­ge­lei­tet. Die­se Ent­wick­lung mün­de­te 2003 schließ­lich in einem Ver­fah­ren, näm­lich dem soge­nann­ten DRG-Sys­tem, bei dem Kran­ken­häu­ser medi­zi­ni­sche Leis­tun­gen auf Basis dia­gno­se­be­zo­ge­ner Fall­pau­scha­len abrech­nen. Das Ziel die­ser Ver­gü­tungs­re­form bestand ins­be­son­de­re in der Hono­rie­rung wirt­schaft­lich ori­en­tier­ter Kran­ken­haus­füh­rung. Laut der Sozi­al­wis­sen­schaft­le­rin Kira Marrs set­ze die­ses Sys­tem damit »deut­lich stär­ke­re Anrei­ze für die wirt­schaft­li­che Behand­lung der Pati­en­ten, als dies frü­her der Fall gewe­sen ist. Zuge­spitzt for­mu­liert, steht nicht mehr allein der kran­ke Mensch und sein indi­vi­du­el­les Schick­sal im Mit­tel­punkt, son­dern auch der Erlös, der aus der Behand­lung resul­tiert«.

Par­al­lel zur recht­li­chen Neu­fas­sung des Finan­zie­rungs­sys­tems fand eine weit­rei­chen­de Pri­va­ti­sie­rung des Kran­ken­haus­we­sens statt. Wäh­rend 1991 der Anteil der Kran­ken­häu­ser in pri­va­ter Trä­ger­schaft noch 14,8 Pro­zent betrug, lag er 2017 bereits bei 37,1 Pro­zent. Der Anteil öffent­li­cher Kran­ken­häu­ser ist laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt im glei­chen Zeit­raum von 46 Pro­zent auf 28,8 Pro­zent gesun­ken.

Was für das Gesund­heits­sys­tem im All­ge­mei­nen gilt, hat im Spe­zi­el­len direk­te Fol­gen für Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten, die sich im Ster­ben befin­den. Unter Berück­sich­ti­gung der zuneh­men­den öko­no­mi­schen Rele­vanz pati­en­ten­be­zo­ge­ner Ent­schei­dun­gen in Kli­ni­ken wird deut­lich, dass neben medi­zi­ni­schen Kri­te­ri­en auch ein Bedeu­tungs­zu­wachs öko­no­mi­scher Kos­ten- und Gewinn-Gesichts­punk­te bei der medi­zi­ni­schen Behand­lung ster­ben­der Men­schen fest­zu­stel­len ist. Dies wird nicht nur durch ver­än­der­te insti­tu­tio­nel­le Rah­men­be­din­gun­gen, son­dern auch durch die pra­xis­be­zo­ge­ne Beob­ach­tung von Ärz­tin­nen und Ärz­ten sowie Geschäfts­füh­re­rin­nen und Geschäfts­füh­rern unter­mau­ert.

Wie die Pal­lia­tiv­me­di­zi­nerPal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Betreu­ung In der pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen Betreu­ung geht es um die Ver­sor­gung von Men­schen mit unheil­ba­ren und weit fort­ge­schrit­te­nen Erkran­kun­gen sowie begrenz­ter Lebens­er­war­tung. Vor­rang haben dabei die Lin­de­rung von Beschwer­den und die Stei­ge­rung der Lebens­qua­li­tät. Ärz­te kön­nen dafür Zusatz­aus­bil­dun­gen absol­vie­re und sich dann Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner nen­nen. Mat­thi­as Thöns und Tho­mas Sit­te dar­le­gen, kann eine gestie­ge­ne Ori­en­tie­rung an Pro­fi­ten öko­no­mi­sche Fehl­an­rei­ze set­zen, die zu Behand­lun­gen am Lebens­en­de füh­ren, wel­che medi­zi­nisch nicht indi­ziert sind: »Wo gewinn­ori­en­tier­te und nicht dem Gemein­wohl ver­pflich­te­te Kon­zer­ne Behand­lungs­prä­fe­ren­zen nach den Erlö­sen bestim­men kön­nen, kann es leicht ein Über­an­ge­bot hoch­prei­si­ger und hoch­tech­ni­sier­ter Behand­lungs­ver­fah­ren geben und eine Unter­ver­sor­gung an weni­ger pro­fi­ta­blen per­so­nal­in­ten­si­ven The­ra­pien, wie z. B. der Pal­lia­tiv­ver­sor­gung.« Der Neu­ro­lo­ge Johan­nes Jörg geht zwar davon aus, dass die Gefahr einer sol­chen Über­the­ra­pie pri­mär durch das feh­len­de Ver­trau­en in eine gestell­te Pro­gno­se über den Gesund­heits­zu­stand der Pati­en­ten resul­tie­re. Den­noch kön­ne der öko­no­mi­sche Druck auf Ärz­te so groß sein, dass medi­zi­ni­sche Argu­men­te ver­nach­läs­sigt wer­den. So werde bei­spiels­wei­se eine »Beatmung über 24 Stun­den hin­aus […] pro Tag sehr gut hono­riert, sodass man durch­aus in Grenz­fäl­len geneigt ist, auch mone­tä­re Gedan­ken zu berück­sich­ti­gen.«

Ein ver­tie­fen­der Blick auf die Umsät­ze, die mit der Betreu­ung alter, schwerst­kran­ker und ster­ben­der Men­schen erwirt­schaf­tet wer­den, ver­deut­licht die Bedeu­tung die öko­no­mi­schen Dimen­sio­nen medi­zi­ni­scher Dienst­lei­tun­gen am Lebens­en­de: Schät­zun­gen zufol­ge erzie­len Phar­ma­un­ter­neh­men etwa ein Vier­tel ihres gesam­ten Umsat­zes mit Medi­ka­men­ten, die Pati­en­ten in ihrer letz­ten Lebens­pha­se ver­ab­reicht wur­den – in Deutsch­land cir­ca sie­ben Mil­li­ar­den Euro. Auch Her­stel­ler von Son­den­nah­rung erzie­len einen hohen Umsatz, der bereits 2005 bei knapp 500 Mil­lio­nen Euro lag. Von den rund 200.000 Men­schen, die über eine PEG-Son­de künst­lich ernährt wer­den, befan­den sich dabei knapp 70 Pro­zent in einem Heim. Dane­ben ist für den häus­li­chen Bereich ins­be­son­de­re die spe­zia­li­sier­te ambu­lan­te Pal­lia­tiv­ver­sor­gung (SAPV) von öko­no­mi­scher Bedeu­tung. Wie der Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner Bernd Sit­tig vor­rech­net, muss ein SAPV-Leis­tungs­er­brin­ger min­des­tens 278 Euro als Tages-Fall-Pau­scha­le pro Pati­ent erhal­ten, um kei­ne Ver­lus­te ein­zu­fah­ren. Bei einer durch­schnitt­li­chen Ver­weil­dau­er von 28 Tagen und einer geschätz­ten Betrof­fe­nen­zahl von 90.000 Pati­en­ten beläuft sich der Jah­res­um­satz auf etwa 750 Mil­lio­nen Euro.

Am Ende bleibt fest­zu­hal­ten: Die Behand­lung von Ster­ben­den ist in einen sozia­len Kon­text ein­ge­bet­tet, in dem Kran­ken­häu­ser zuneh­mend als markt­wirt­schaft­lich aus­ge­rich­te­te Unter­neh­men agie­ren und der somit von einem nicht zu unter­schät­zen­den Öko­no­mi­sie­rungs­druck geprägt ist. Vor allem durch die vor­an­ge­schrit­te­ne Inten­siv­me­di­zinInten­siv­me­di­zin Die Inten­siv­me­di­zin ist ein medi­zi­ni­sches Fach­ge­biet mit inter­dis­zi­pli­nä­rem Cha­rak­ter, das sich mit Moni­to­ring, Dia­gnos­tik und The­ra­pie akut lebens­be­droh­li­cher Zustän­de und Krank­hei­ten befasst. Das geschieht meist in beson­ders aus­ge­rüs­te­ten Sta­tio­nen eines Kran­ken­hau­ses, den soge­nann­ten Inten­siv­sta­tio­nen. Wiki­pe­dia ist eine Lebens­ver­län­ge­rung mög­lich, mit der hohe Umsät­ze erwirt­schaf­tet wer­den kön­nen. Hier wäre Acht­sam­keit und Kri­tik im Hin­blick auf die Gefah­ren einer pro­fi­ta­blen Über­the­ra­pie gefragt – ganz beson­ders auch von den Kir­chen.

Die­ser Bei­trag ist von Flo­ri­an Che­fai und wur­de am 26.11.2020 erst­mals auf www.hpd.de ver­öf­fent­licht.