Der betrogene Patient

Ein Arzt deckt auf, warum Ihr Leben in Gefahr ist, wenn Sie sich medizinisch behandeln lassen.

Gerd Reu­thers Durch­leuch­tung des Gesund­heits­we­sens beruht auf gründ­lich recher­chier­ten Bele­gen und Fak­ten – eine Betrach­tung, die er für die gan­ze Medi­zin for­dert. Was Reu­ther bei sei­nen ver­schie­de­nen Fokus­sie­run­gen auf den unter­schied­li­chen Schnitt­ebe­nen sieht, ist erschre­ckend: die unsi­che­re Basis vie­ler medi­ka­men­tö­ser The­ra­pien, den sinn­lo­sen Aktio­nis­mus der Medi­zi­ner, die Machen­schaf­ten der phar­ma­zeu­ti­schen Indus­trie, blin­de Fle­cke bei der Infek­ti­ons­prä­ven­ti­on, Inter­es­sen­kon­flik­te der Ver­fas­ser von Leit­li­ni­en oder Impf­emp­feh­lun­gen, die fal­schen Anrei­ze im Abrech­nungs­sys­tem der Kran­ken­häu­ser, den Unsinn sta­tio­nä­rer Reha­bi­li­ta­ti­ons­me­di­zin und des Kur­we­sens bis hin zu den unnö­tig hier­ar­chi­schen Struk­tu­ren in deut­schen Kli­ni­ken und, und, und. Jeder, der 30 Jah­re oder län­ger als Arzt tätig war, kennt vie­les, was Reu­ther beschreibt, aus eige­ner Anschau­ung. Und jeder, der wäh­rend sei­nes Stu­di­ums und sei­ner Berufs­tä­tig­keit nicht nur Fach­zeit­schrif­ten, son­dern auch die eige­ne Zunft kri­tisch reflek­tie­ren­de Bücher gele­sen hat, ange­fan­gen bei Ivan Illichs (1926–2002) Klas­si­ker Ent­eig­nung der Gesund­heit (1975), weiß, wie es um die Medi­zin bestellt ist.

Aus dem Vor­wort von Prof. Dr. med. Ott­mar Leiß,
Fach­arzt für Inne­re Medi­zin und Gas­tro­en­te­ro­lo­gie,

Pro­log: Wer frü­her stirbt, ist bekannt­lich län­ger tot. Aber wer spä­ter stirbt, meist län­ger Pati­ent. Trotz jähr­li­cher Rekord­mel­dun­gen einer stei­gen­den Lebens­er­war­tung sta­gniert die »gesun­de Lebens­er­war­tung« seit 2010 bei erhöh­ter Behand­lungs­in­ten­si­tät in den meis­ten Län­dern der Euro­päi­schen Uni­on (EU). In Deutsch­land ste­hen Män­nern im Alter von 65 Jah­ren 10,9 und Frau­en 13,8 Beschwer­de­jah­re bevor. Das tat­säch­li­che Ster­be­al­ter von 78,1 Jah­ren liegt um 2,5 Jah­re unter den Pro­gno­sen der Lebens­er­war­tung.

Reu­ther, Gerd: Der betro­ge­ne Pati­ent – Ein Arzt deckt auf, war­um Ihr Leben in Gefahr ist, wenn Sie sich medi­zi­nisch behan­deln las­sen. Riva.

Der verkaufte Patient

Wie Ärzte und Patienten von der Gesundheitspolitik betrogen werden

The­se der Autorin: Gesund­heits­re­form ist nur der Deck­na­me für einen unde­mo­kra­ti­schen und unso­zia­len Umbau in unse­rer Gesell­schaft, der alle Bür­ger mit höhe­ren Kos­ten bestraft und ihnen gerin­ge­re Leis­tun­gen beschert. Aber ist es nicht wahr, dass unser Gesund­heits­sys­tem nicht mehr finan­zier­bar ist? Wir alle wis­sen doch: Die Kos­ten lau­fen uns davon. Es gibt nach­hal­ti­ge demo­gra­fi­sche Ver­än­de­run­gen. Wir haben einen Zuwachs an Zivi­li­sa­ti­ons­krank­hei­ten. Sin­ken­de Wachs­tums­ra­ten in der Wirt­schaft und eine dau­er­haft hohe Arbeits­lo­sig­keit füh­ren zu weni­ger Bei­trags­zah­lern. Wir müs­sen die Fol­ge­kos­ten der deut­schen Ein­heit tra­gen. Und schließ­lich for­dert der Fort­schritt in der moder­nen Medi­zin sei­nen Tri­but. Ich hal­te dage­gen (und werde dar­in von vie­len Fach­leu­ten unter­stützt): Es ist mehr als genug Geld da für eine ordent­li­che gesund­heit­li­che Grund­ver­sor­gung. Es wird nur für die fal­schen Din­ge aus­ge­ge­ben. Neh­men wir ein klei­nes Bei­spiel: Im Speck­gür­tel der Stadt Mün­chen gibt es mehr Com­pu­ter­to­mo­gra­fen (CT) als in ganz Ita­li­en (!). Ita­li­en hat­te am 31.12.2006 genau 59.131.287 Ein­woh­ner. Mün­chen hat­te am 31.3.2007, also drei Mona­te spä­ter, genau 1.332.650 Ein­woh­ner. Wahr­schein­lich ist es das Oli­ven­öl, oder die Münch­ner lei­den an einer beson­de­ren Form von Kno­chen­er­wei­chung, sodass sie der­art vie­le Com­pu­ter­to­mo­gra­fen brau­chen. Ein ein­zi­ges die­ser Gerä­te kos­tet rund 2,5 Mil­lio­nen Euro – und die müs­sen sich amor­ti­sie­ren. Also wird am Fließ­band und rund um die Uhr unter­sucht. Leer­lauf darf es nicht geben. Not­falls wird das hal­be Alters­heim aus der Nach­bar­schaft durch­leuch­tet! Fazit: Es ist offen­kun­dig jede Men­ge Geld vor­han­den für Gerä­te, die einen Rat­ten­schwanz an Fol­ge­kos­ten hin­ter sich her­zie­hen. Bezahlt wird das alles von Ihren Bei­trä­gen!

Hart­wig, Rena­te: Der ver­kauf­te Pati­ent – Wie Ärz­te und Pati­en­ten von der Gesund­heits­po­li­tik betro­gen wer­den. Patt­loch

Kranke Pflege

Gemeinsam aus dem Notstand

Auch im aktu­el­len BKK-Gesund­heits­at­las ist zu lesen: »Bei den medi­zi­ni­schen Gesund­heits­be­ru­fen sind es die Beschäf­tig­ten der Gesund­heits- und Kran­ken­pfle­ge, die mit durch­schnitt­lich 19,3 AU-Tagen je Beschäf­tig­ten die meis­ten Fehl­zei­ten auf­wei­sen. Noch höhe­re Fehl­zei­ten fin­den sich bei den nicht­me­di­zi­ni­schen Gesund­heits­be­ru­fen unter den Beschäf­tig­ten der Alten­pfle­ge (24,1 AU-Tage). Die Fehl­zei­ten bei­der Berufs­grup­pen lie­gen deut­lich über dem Bun­des­durch­schnitts­wert (16,1 AU-Tage).« Als Grün­de für die Fehl­zei­ten ste­hen an aller­ers­ter Stel­le psy­chi­sche Belas­tun­gen, gefolgt von Mus­kel-Ske­lett-Erkran­kun­gen. Kei­ne Berufs­grup­pe lässt sich häu­fi­ger und län­ger wegen psy­chi­scher Bean­spru­chung krank­schrei­ben als Kran­ken- und Alten­pfle­ge­kräf­te. …

Aus durch­schnitt­lich drei­zehn Pati­en­ten, die am Tag von einer Pfle­ge­kraft ver­sorgt wer­den müs­sen, wer­den nachts zum Teil dop­pelt so vie­le. Unvor­stell­bar? Lei­der nicht. Der Nacht­dienst-Check von ver.di fand her­aus, dass 64 Pro­zent der Pfle­ge­kräf­te nachts allei­ne auf der Sta­ti­on sind und nur 36 Pro­zent min­des­tens zu zweit. Sofern die Pfle­ge­kraft allei­ne tätig war, muss­te sie im Durch­schnitt 26 Pati­en­ten ver­sor­gen. Aber es geht auch noch schlim­mer: »Auf 14 Pro­zent der Nor­mal­sta­tio­nen ist eine Pfle­ge­fach­kraft allein für 30 bis 39 Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten zustän­dig und auf 4 Pro­zent der Sta­tio­nen ver­sorg­te eine Pfle­ge­fach­kraft allein 40 und mehr Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten«, so ver.di.

… ZEIT ONLINE und das ARD-Fern­seh­ma­ga­zin Report Mainz befrag­ten dazu 3000 Pfle­ge­kräf­te. Ant­wor­ten wie die fol­gen­den waren dabei häu­fig zu hören: »Ich muss stän­dig mit dem Gefühl leben, dass ich den Men­schen, die mir anver­traut sind, nicht gerecht werde. Ja, dass ich sie sogar gefähr­de, statt sie gesund zu machen.« Die Hek­tik bei der Arbeit, der Druck schnell und dabei gut zu arbei­ten, löst, wie ich ein­gangs schon erwähnt habe, in einem die Sor­ge aus, einen Feh­ler zu bege­hen. Je weni­ger Zeit bleibt, alles genau­es­tens zu über­prü­fen, wie etwa die rich­ti­ge Medi­ka­men­ten­do­sie­rung, des­to mehr steigt das Risi­ko, einen Feh­ler zu machen. Bei Medi­ka­men­ten ist gene­rell Vor­sicht und eine hohe Wach­sam­keit gebo­ten. Beson­ders wenn es um das Ver­ab­rei­chen von Medi­ka­men­ten über venö­se Zugän­ge, wie zum Bei­spiel einen zen­tra­len Venen­ka­the­ter geht, des­sen Spit­ze direkt in der Hohl­ve­ne vor dem Her­zen liegt, ist die Gefahr lebens­ge­fähr­li­cher Kom­pli­ka­tio­nen deut­lich erhöht. Bei kreis­lauf­ak­ti­ven Medi­ka­men­ten kön­nen leich­te Fehl­do­sie­run­gen einen erheb­li­chen Ein­fluss haben. Das ist auch ent­kop­pelt vom Pfle­ge­not­stand der Fall, aber der Zeit­druck gibt der inne­ren Anspan­nung, der Befürch­tung, mit so etwas im Ernst­fall leben zu müs­sen, noch eine tie­fe­re Dimen­si­on.

Jor­de, Alex­an­der: Kran­ke Pfle­ge – Gemein­sam aus dem Not­stand. Tro­pen.

Rette sich, wer kann

Das Krankensystem meiden und gesund bleiben

Die Kon­se­quen­zen der insti­tu­tio­nel­len Medi­zin wir­ken zusam­men und rufen eine neue Art Lei­den her­vor: anäs­the­sier­tes, ohn­mäch­ti­ges und ein­sa­mes Über­le­ben in einer Welt, die sich in eine Kran­ken­sta­ti­on ver­wan­delt. – Ivan Illich

Anders als in allen ande­ren Län­dern der Welt, in denen man zumin­dest in Vor­la­ge gehen und sich das auf­ge­wen­de­te Geld von einer Kran­ken­kas­se ganz oder teil­wei­se erstat­ten las­sen muss, wird all dies hier­zu­lan­de von unsicht­ba­ren Hän­den im Hin­ter­grund gere­gelt. Man behel­ligt uns nicht damit, dass die Leis­tun­gen des Arz­tes und die von ihm ver­schrie­be­nen Medi­ka­men­te Geld kos­ten. Viel Geld. Auf wie vie­le unse­rer durch­schnitt­lich 18 jähr­li­chen Arzt­be­su­che wür­den wir ver­zich­ten, wenn wir sie aus eige­ner Tasche bezah­len müss­ten? Oder die Sum­men auch nur aus­le­gen und uns zurück­ho­len müss­ten von unse­ren Kas­sen? Auf durch­schnitt­lich 9? Oder doch eher auf durch­schnitt­lich 15? Und auf wie vie­le, wenn wir wüss­ten, dass unse­re Prä­mis­se betref­fend die Zie­le der Gesund­heits­ma­schi­ne falsch ist: die Idee, das »Gesund­heits­we­sen« wol­le uns nüt­zen? Auch wenn Ein­zel­ne (Ärz­te) dar­in genau dies bestimmt wol­len: Das Wesen, weni­ger Gesund­heits- als Krank­heits­we­sen, kann dies nicht wol­len und nicht zulas­sen. Und »es« meint das gar nicht böse. Oder per­sön­lich.

… Ohne flo­rie­ren­des Krank­heits­sys­tem wür­de die deut­sche Wirt­schaft wohl umge­hend zusam­men­bre­chen, denn die Gesund­heit unse­res alles ent­schei­den­den Wachs­tums­in­di­ka­tors, des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP), hängt maß­geb­lich davon ab, dass es immer weni­ger Gesun­de gibt und immer mehr Kran­ke. Wer das merk­wür­dig fin­det, ver­ge­gen­wär­ti­ge sich, dass das irre­füh­rend soge­nann­te »Gesund­heits­we­sen« seit 1950 von einem 2‑Mil­lio­nen-Geschäft zu einer 350-Mil­li­ar­den-Maschi­ne eska­liert ist, deren Umsät­ze 12 Pro­zent des BIP aus­ma­chen und die mit etwa 5,5 Mil­lio­nen Beschäf­tig­ten fast jeden sechs­ten Arbeits­platz in Deutsch­land stellt.

Bött­cher, Sven: Ret­te sich, wer kann – Das Kran­ken­sys­tem mei­den und gesund blei­ben. West­end Ver­lag.