Vom Leid, sterben zu wollen

Am 26.03.2018 fand eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­stal­tung zum Leid, ster­ben zu wol­len unter Mit­wir­kung des Huma­nis­ti­schen Ver­bands Ber­lin-Bran­den­burg, KdöR (HVD) in der Ura­nia-Ber­lin statt. Zunächst wur­de der Film „Frau S. will ster­ben“ gezeigt, eine Doku­men­ta­ti­on über den Frei­tod des lang­jäh­ri­gen HVD-Mit­glieds Ingrid San­der.

Sie litt seit ihrem ach­ten Lebens­jahr an Kin­der­läh­mung und hat­te sich vor zehn Jah­ren an den Ber­li­ner Ster­be­hel­fer Uwe-Chris­ti­an Arnold um Hil­fe gewandt. Sei­ne Zusa­ge ihr not­falls beim Ster­ben zu hel­fen, moti­vier­te sie noch zehn Jah­re mit ihrer Behin­de­rung und unter wach­sen­den Ein­schrän­kun­gen wei­ter­zu­le­ben. Kern­aus­sa­gen von Frau San­der im Film »Ich muss mir die Quä­le­rei bis zum Tod nicht antun. … Das ist ein Ver­nich­tungs­schmerz. Ich bin kör­per­lich am Ende. Ich bin eine Rui­ne.« Sie woll­te den Zeit­punkt nicht ver­pas­sen, an dem sie ihrem Leben noch selbst ein Ende set­zen konn­te. Der ursprüng­li­che Plan wur­de dann durch den § 217 StGB ver­ei­telt, sodass sie ihren Sohn bat, wenn es für sie so weit sei, bei ihr zu sein und ihr beim Ster­ben zu hel­fen, was im Film doku­men­tiert wur­de. Wie sie sich die nöti­gen Medi­ka­men­te besorgt hat­te, blieb offen. Bemer­kens­wert an dem Film war noch die Rede des Abge­ord­ne­ten Peter Hint­ze im Bun­des­tag bei der Aus­spra­che zum Gesetz­ent­wurf des § 217 StGB, wo er sag­te: „Das Lei­den im Ster­ben ist sinn­los! Kein Mensch muss einen Qual­tod hin­neh­men.“, was aber die Ver­ab­schie­dung des Para­gra­fen nicht ver­hin­der­te.

Künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (vor allem im Alter)

Im Anschluss an den Film hat die Medi­zin­ethi­ke­rin und Ver­tre­te­rin des HVD Gita Neu­mann in einem Vor­trag die recht­li­che Situa­ti­on der künst­li­chen Ernäh­rung beson­ders im Alter erläu­tert. Dazu hat sie zwei Urtei­le vor­ge­stellt.

Prin­zi­pi­ell sieht sie das Ster­be­fas­ten als eine huma­ne und gewalt­freie Opti­on, sein Lei­den zu begren­zen und dem eige­nen Tod ent­ge­gen zu gehen an. Bei einem frei­wil­lens­fä­hi­gen Men­schen kein Pro­blem, denn grund­sätz­lich gilt, dass jeder ärzt­li­che Ein­griff einer Zustim­mung bedarf, ent­we­der vom Pati­en­ten selbst oder, wenn das nicht mög­lich ist, von einem legi­ti­mier­ten Ver­tre­ter. Aber auch die Fort­set­zung einer lebens­er­hal­ten­den Maß­nah­me, wie z. B. einer künst­li­chen Ernäh­rung, muss regel­mä­ßig auf ihre Sinn­haf­tig­keit über­prüft wer­den. Die Fort­füh­rung ohne Indi­ka­ti­on, also ohne Nut­zen für den Pati­en­ten oder gar gegen sei­ne frü­he­re Wil­lens­äu­ße­rung, ist eine Kör­per­ver­let­zung. Der Abbruch einer lebens­er­hal­ten­den Maß­nah­me, für wel­che es kei­ne Ein­wil­li­gung gibt, ist ärzt­lich gebo­ten und kei­ne „akti­ve Ster­be­hil­fe“, wie durch ein BGH-Urteil vom 25.06.2010 bestä­tigt. Eine Fort­füh­rung ohne Indi­ka­ti­on, wur­de am 21.12.2017 vom OLG Mün­chen in einem Mus­ter­pro­zess sogar als sinn­lo­se Lei­dens­ver­län­ge­rung gewer­tet, obwohl kein Pati­en­ten­wil­len ermit­tel­bar war. Der Arzt wur­de zu einer Schmer­zens­geld­zah­lung in Höhe von 40.000 Euro an den Erben ver­ur­teilt.

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Künstliche Ernährung aus ärztlicher Sicht – Wohl, Wille oder Wehe?

Der Ber­li­ner Arzt Hart­mut Klähn berich­te­te danach über künst­li­che Ernäh­rung aus ärzt­li­cher Sicht. Er begann mit einem Bei­spiel aus sei­ner Haus­be­suchs­pra­xis, wo bei einer Pati­en­tin ein pie­pen­des Ernäh­rungs­pum­pen­sys­tem dar­auf auf­merk­sam mach­te, dass die Nähr­flüs­sig­keit alle war. In dem Heim piep­te es auch aus ande­ren Zim­mern und die Suche nach einer Pfle­ge­per­son gestal­te­te sich müh­sam. Er muss­te fest­stell­ten, dass in der Ein­rich­tung eine ein­zi­ge Fach­kraft in der Nacht­schicht für alle über vier Eta­gen ver­teil­ten Pfle­ge­be­dürf­ti­gen zustän­dig war. Ein­zi­ge Unter­stüt­zung war eine des deut­schen nicht mäch­ti­ge Hilfs­kraft.

Alte Men­schen bekom­men häu­fig eine PEG-Magen­son­de gelegt, wenn sie Nah­rung nicht mehr auf natür­li­che Wei­se zu sich neh­men. Das kann sein, weil sie krank­heits­be­dingt nicht schlu­cken kön­nen oder der Ster­be­pro­zess bereits begon­nen hat, aber auch weil sie ster­ben wol­len. Als Argu­ment wird oft ange­führt, man kön­ne den Men­schen doch nicht ein­fach ster­ben las­sen, obwohl durch meh­re­re Stu­di­en belegt ist, dass gera­de bei demen­ten Men­schen, durch eine künst­li­che Ernäh­rung weder Lebens­qua­li­tät noch Lebens­dau­er ver­bes­sert wer­den. Die Unkennt­nis des­sen, sowie die Unsi­cher­heit von Ange­hö­ri­gen wur­de in der Ver­gan­gen­heit aus­ge­nutzt, um für nicht-ein­wil­li­gungs­fä­hi­ge Pati­en­ten eine Zustim­mung zum Legen einer PEG-Magen­son­de zu erhal­ten. Klähn beklag­te, dass öko­no­mi­scher Druck oft hand­lungs­lei­tend ist und so Leben und Ster­ben mani­pu­lier­bar gemacht wür­den. So kom­me es, dass in Deutsch­land jähr­lich im Durch­schnitt 150.000 PEG-Magen­son­den gelegt wer­den, ca. 70 Pro­zent davon ohne kla­re Indi­ka­ti­on. Durch das Ein­stel­len nicht indi­zier­ter Lebens­ver­län­ge­rung könn­te das Per­so­nal­pro­blem in der Pfle­ge und die ange­spann­te Kos­ten­si­tua­ti­on erheb­lich gelin­dert wer­den. Die­sen Men­schen soll­te dann unter guter pal­lia­ti­ver Betreu­ung erlaubt sein an ihrer Erkran­kung natür­lich zu ver­ster­ben, so wie es frü­he­ren Gene­ra­tio­nen noch mög­lich war, weil lebens­er­hal­ten­de Maß­nah­men noch nicht so weit ent­wi­ckelt waren. Er zitier­te Dr. Micha­el de Rid­der, der gesagt hat: „die Unfä­hig­keit und der Wider­wil­le ernährt zu wer­den, sind als Beginn der fina­len Ent­wick­lung einer Erkran­kung zu wer­ten.“

Hart­mut Klähn stell­te den anwe­sen­den Arzt Dr. Chris­toph Tur­ow­ski vor, der gera­de von einem Ber­li­ner Gericht vom Vor­wurf der Ster­be­hil­fe frei­ge­spro­chen wor­den war.

Er hat­te vor fünf Jah­ren einer Pati­en­tin, die seit über 20 Jah­ren an einer unheil­ba­ren Darm­krank­heit litt, seit 13 Jah­ren sei­ne Pati­en­tin war, schon fünf miss­lun­ge­ne Sui­zid­ver­su­che hin­ter sich hat­te und damit droh­te einen Schie­nen­sui­zid zu bege­hen, auf ihren Wunsch ein hoch­po­ten­tes Schlaf­mit­tel ver­schrie­ben. Sie teil­te ihm dann per SMS mit, dass sie es ein­ge­nom­men habe, wor­auf­hin er sie mehr­fach besuch­te bis er nach drei Tagen ihren Tod fest­stell­te. Trotz des Frei­spruchs muss der Arzt 25.000 Euro an Anwalts­kos­ten auf­brin­gen. Da die Staats­an­walt­schaft in Revi­si­on gegan­gen ist und der Fall nun vom BGHBGH Bun­des­ge­richts­hof behan­delt wer­den muss, dro­hen ihm wei­te­re ca. 40.000 Euro an Anwalts­kos­ten. Wer ihn finan­zi­ell unter­stüt­zen möch­te, kann ihm einen Soli­dar­bei­trag auf sein Kon­to über­wei­sen: Dr. Chris­toph Tur­ow­ski, Post­bank Ber­lin, IBAN DE67100100100643291124, Ver­wen­dungs­zweck: Pro­zess­kos­ten Sui­zid­hil­fe

Im Fol­gen­den beschrieb Hart­mut Klähn Vor- und Nach­tei­le einer PEG-Magen­son­de, wie die Indi­ka­ti­ons­stel­lung ermit­telt und wie sie ope­ra­tiv ange­legt wird. Ein Man­gel an Pfle­ge­kräf­ten sei nie­mals eine legi­ti­me Indi­ka­ti­on. Auch wenn der Ster­be­pro­zess bereits ein­ge­setzt habe, ver­bie­te sich künst­li­che Ernäh­rung und Flüs­sig­keits­zu­fuhr. Hun­ger ist kein Schmerz und legt sich bereits nach kur­zer Zeit. Gegen Durst muss eine zuge­wand­te und fach­ge­rech­te Mund­pfle­ge durch­ge­führt wer­den, eine Infu­si­on dage­gen kann Durst nicht lin­dern, aber zu zusätz­li­chen Beschwer­den füh­ren.

Abschlie­ßend gab er Tipps, wie die Beglei­tung eines Ster­be­fas­tens opti­mal durch­ge­führt wer­den kann und beton­te, dass dabei alle Betei­lig­ten ver­ständ­nis­voll mit­ein­an­der umge­hen soll­ten. Er sieht im Ster­be­fas­ten eine Alter­na­ti­ve zu gewalt­sa­men oder unsi­che­ren Metho­den. Nicht zuletzt hofft er auf die Abschaf­fung des § 217 StGB durch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, um die recht­li­che Unsi­cher­heit zu besei­ti­gen und, damit sich die huma­ne Sei­te des Arz­tes dann frei ent­fal­ten kann.

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Podiumsgespräch mit den Referent*innen und Olaf Sander

Das anschlie­ßen­de Podi­ums­ge­spräch wur­de von Herrn Dr. Ebel von der Ura­nia mode­riert. Er berich­te­te von sei­ner Erfah­rung mit sei­ner Mut­ter, wo er sich nicht in der Lage sah ihr bei ihrem Wunsch frü­her zu ster­ben zu hel­fen.

Olaf San­der erzähl­te dann, dass Ster­ben in sei­ner Fami­lie kein Tabu­the­ma war und sehr auf­ge­klärt damit umge­gan­gen wur­de. Daher emp­fahl er den Tod, zumin­dest für eini­ge Men­schen, als eine Erlö­sung vom Leid zu ver­ste­hen. Das Ange­hö­ri­ge nach aktu­el­ler Rechts­la­ge die Ein­zi­gen sind, die straf­los beim Sui­zid hel­fen dür­fen, obwohl sie in der Regel dafür in kei­ner Wei­se qua­li­fi­ziert sind, hält er für eine Zumu­tung.

Gita Neu­mann wies dann dar­auf hin, dass vie­le nicht wis­sen wür­den, was in ihrer Patienten­verfügung genau stün­de und selbst wenn dort lebens­er­hal­ten­de Maß­nah­men abge­lehnt wür­den, dass nicht durch­schaut wür­de, in wel­chen Situa­tio­nen dies erst gel­ten wür­de. Wei­ter erklär­te sie, dass der § 217 StGB im Vor­feld eines Sui­zids zur Wir­kung kom­men wür­de und jene bedroht, die dazu auf­klä­ren wür­den, bzw. dafür Unter­stüt­zung bie­ten wür­den. Die pal­lia­ti­ve Beglei­tung eines Men­schen, der bereits mit dem Fas­ten begon­nen hät­te, wäre davon aber aus­ge­nom­men.

Olaf San­der berich­te­te dann davon, was er bei den poli­zei­li­chen Ermitt­lun­gen erle­ben muss­te und emp­fahl drin­gend vom Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht Gebrauch zu machen und sich dann einen guten Straf­ver­tei­di­ger zu suchen. Auf dem Poli­zei­re­vier wur­de er dann damit kon­fron­tiert, dass der Beam­te den § 217, gegen den er ver­sto­ßen haben soll­te, nicht im Sys­tem ein­tra­gen konn­te, weil er ein Jahr nach der Ver­ab­schie­dung durch den Bun­des­tag noch nicht zen­tral ein­ge­pflegt wor­den war. Ersatz­wei­se wur­de dann ein­fach der § 216 (Tötung auf Ver­lan­gen!) genom­men. Zudem berich­te­te er, dass vom Not­arzt, der sei­ne Mut­ter nicht gekannt hat­te, als Todes­ur­sa­che „schwe­re depres­si­ve Epi­so­de“ ver­merkt wor­den war, obwohl es dafür kei­ne äuße­ren Anzei­chen gab. Abschlie­ßend gab San­der den Rat, dass alle Betei­lig­ten mit­ein­an­der reden und sich gegen­sei­tig ver­su­chen soll­ten zu ver­ste­hen.

Herr Ebel beschloss dann den Abend mit einem pas­sen­den Zitat von Carl Spitz­weg:

Oft denk‘ ich an den Tod, den her­ben, und wie am End‘ ich’s aus­mach‘: Ganz sanft im Schla­fe möcht‘ ich ster­ben – und tot sein, wenn ich auf­wach‘!

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Ist die Patientenverfügung gescheitert?

Am 1. Sep­tem­ber 2019 wur­de das Pati­en­ten­ver­fü­gungs­ge­setz 10 Jah­re alt. Da konn­te man sich schon fra­gen: Ist das ein Grund zum Fei­ern? Im Prin­zip ja, aber in vie­len Ein­zel­fäl­len wohl eher nicht, denn die Patienten­verfügung gibt es nicht. Es gibt hun­der­te Anbie­ter, deren Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen teil­wei­se ähn­lich, aber dann doch in wich­ti­gen Punk­ten unter­schied­lich sind. Für einen Lai­en sind die­se Unter­schie­de kaum zu erken­nen und wenn doch, ist die Kon­se­quenz oft nicht offen­sicht­lich. Das Haupt­pro­blem liegt dar­in, dass eine Patienten­verfügung erst zur Anwen­dung kommt, wenn die Per­son ihren Wil­len schon nicht mehr kom­mu­ni­zie­ren kann. Wer kann dann sagen, ob die Patienten­verfügung dem aktu­el­len Wil­len der Per­son ent­spre­chen wür­de? Ärz­te und Pfle­ge­kräf­te kön­nen sich dann aber auf den Text der Ver­fü­gung beru­fen und so oft behaup­ten, dass die Per­son in der aktu­el­len Situa­ti­on noch vom Ster­ben abge­hal­ten wer­den woll­te. Wie kann das sein?

Im Pati­en­ten­ver­fü­gungs­ge­setz wur­de fest­ge­legt, dass Voll­jäh­ri­ge Vor­aus­ver­fü­gun­gen für ihr Lebens­en­de auf­set­zen kön­nen und die­se von Ärz­ten und Pfle­ge­kräf­ten zu beach­ten sind. Ent­schei­den­de Bestim­mung dar­in ist, dass Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen »unab­hän­gig von Art und Sta­di­um einer Erkran­kung« gel­ten kön­nen. Das hat weni­ger Beach­tung gefun­den als die Bestim­mung, dass Festlegungen kon­kret zu sein haben. Was das genau ist, steht nicht fest, aber hat schon Anwäl­te und Rich­ter bis zum Bun­des­ge­richts­hof beschäf­tigt.

2004 hat­te eine Arbeits­grup­pe beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Jus­tiz und Ver­brau­cher­schutz (BMJBMJ Bun­des­mi­nis­te­ri­um der Jus­tiz) Emp­feh­lun­gen für Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen erar­bei­tet, die heu­te noch im Wesent­li­chen unver­än­dert vom BMJ ange­bo­ten wer­den. Die meis­ten Anbie­ter haben sich dar­an ori­en­tiert und ver­lan­gen teil­wei­se für etwas Geld, was beim BMJ kos­ten­los zu haben ist, wie die Ver­brau­cher­zen­tra­le fest­ge­stellt hat. 

Die ers­te Situa­ti­ons­be­schrei­bung des BMJ zeigt schon, wie beschränkt die Vor­ga­ben sind, sie lau­tet: „Wenn ich mich aller Wahr­schein­lich­keit nach unab­wend­bar im unmit­tel­ba­ren Ster­be­pro­zess befin­de.“ Nun kann kei­ner genau sagen, wann bei einem Men­schen der Ster­be­pro­zess begon­nen hat, was damit voll­stän­dig in die Dia­gno­se­ho­heitDia­gno­se­ho­heit Es braucht medi­zi­ni­sche Exper­ti­se, um eine Dia­gno­se stel­len zu kön­nen. von Ärz­ten gelegt ist. Wenn man sich dann über­legt, dass Kran­ken­häu­ser Wirt­schafts­un­ter­neh­men sind, die mit Behand­lun­gen Geld ver­die­nen wollen/​müssen, dann darf unter­stellt wer­den, dass das Inter­es­se, zu dia­gnos­ti­zie­ren, die­se Situa­ti­on sei ein­ge­tre­ten, aus wirt­schaft­li­cher Sicht gering ist. Was die­se Situa­ti­ons­be­schrei­bung aber noch unwirk­sa­mer macht, ist der Umstand, dass sie durch drei Ein­schrän­kun­gen ein­ge­lei­tet ist, näm­lich „aller Wahr­schein­lich­keit nach“, „unab­wend­bar“ und „unmit­tel­bar“. Der Pal­lia­tiv­me­di­zi­nerPal­lia­tiv­me­di­zi­ni­sche Betreu­ung In der pal­lia­tiv­me­di­zi­ni­schen Betreu­ung geht es um die Ver­sor­gung von Men­schen mit unheil­ba­ren und weit fort­ge­schrit­te­nen Erkran­kun­gen sowie begrenz­ter Lebens­er­war­tung. Vor­rang haben dabei die Lin­de­rung von Beschwer­den und die Stei­ge­rung der Lebens­qua­li­tät. Ärz­te kön­nen dafür Zusatz­aus­bil­dun­gen absol­vie­re und sich dann Pal­lia­tiv­me­di­zi­ner nen­nen. Mat­thi­as Thöns sieht im Effekt ein Ster­be­ver­län­ge­rungs­kar­tell am Werk, das am Lebens­en­de teil­wei­se mit Über­the­ra­pie noch hohe Gewin­ne ein­strei­chen will.

Bevoll­mäch­tig­teBevoll­mäch­tig­te Ein/​e Bevollmächtigte/​r ist eine vom Voll­macht­ge­ber beru­fe­ne Per­son, die in Ver­tre­tung der Voll­macht­ge­be­rin oder des Voll­macht­ge­bers ent­schei­den bzw. han­deln kann./​Angehörige sind da macht­los, weil Ärz­te die Dia­gno­se­ho­heit haben und im Zwei­fel Juris­ten nach dem Text der Patienten­verfügung urtei­len, der zu oft nicht kon­kret genug ist.

Zum Glück ist das nicht die ein­zi­ge Situa­ti­ons­be­schrei­bung. Die zwei­te sagt, die Ver­fü­gung sol­le beach­tet wer­den, „im End­sta­di­um einer unheil­ba­ren, töd­lich ver­lau­fen­den Erkran­kung“. Hier kann man sich aber auch wie­der strei­ten, wann denn das erreicht ist. Um hier ein wenig mehr Sicher­heit zu geben, heißt es beim BMJ, dass dies gel­ten sol­le, auch „wenn der Todes­zeit­punkt noch nicht abseh­bar ist“. Die­ser Zusatz bezieht sich aller­dings nur auf die­se zwei­te Situa­ti­ons­be­schrei­bung! 

Beim BMJ gibt es dann noch zwei wei­te­re Situa­ti­ons­be­schrei­bun­gen, näm­lich zunächst bezo­gen auf eine schwe­re Hirn­schä­di­gung, bei der zwei Ärz­te dia­gnos­ti­ziert haben müs­sen, dass kei­ne Bes­se­rung zu erwar­ten ist. Man darf sich fra­gen, war­um dies zwei Ärz­te dia­gnos­ti­zie­ren müs­sen. Ist zu erwar­ten, dass ein Arzt zu früh die­se sel­te­ne Dia­gno­se stellt? Unter den gegen­wär­ti­gen öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen wohl eher nicht. Die­se ein­ge­bau­te Hür­de führt dann eher dazu, dass län­ger behan­delt wird, zumal nicht immer gleich ein Arzt zur Ver­fü­gung steht, der qua­li­fi­ziert ist, die ver­lang­te Zweit­dia­gno­se zu stel­len. Wenn auf der ande­ren Sei­te aber, ein Bevoll­mäch­tig­terBevoll­mäch­tig­te Ein/​e Bevollmächtigte/​r ist eine vom Voll­macht­ge­ber beru­fe­ne Per­son, die in Ver­tre­tung der Voll­macht­ge­be­rin oder des Voll­macht­ge­bers ent­schei­den bzw. han­deln kann. der Mei­nung ist, die ers­te Dia­gno­se wür­de nicht zutref­fen und der Pati­ent sol­le wei­ter­be­han­delt wer­den, steht einem nach gel­ten­dem Recht zu, eine Zweit­mei­nung ein­zu­ho­len oder die Behand­lung einem ande­ren Arzt zu über­ant­wor­ten. War­um also zwei Dia­gno­sen bin­dend vor­schrei­ben? Auch hier kann man sich fra­gen: Wem nützt das?

Die vier­te und letz­te Situa­ti­ons­be­schrei­bung, die das BMJ anbie­tet, bezieht sich auf eine weit fort­ge­schrit­te­ne Demenz. Kri­te­ri­um ist hier, dass der Pati­ent Nah­rung und Flüs­sig­keit, selbst bei aus­dau­ern­der Hil­fe­stel­lung, schon nicht mehr auf natür­li­che Wei­se zu sich nimmt. Nicht mehr essen zu kön­nen, ist schon schlimm genug, aber wer möch­te dann noch durch ora­le Flüs­sig­keits­ga­be (z. B. mit einer Schna­bel­tas­se) vom Ster­ben abge­hal­ten wer­den? Dass ein ster­ben­der Mensch kei­nen Durst lei­den soll, ist selbst­ver­ständ­lich, doch kann das durch fach­ge­rech­te Mund- und Schleim­haut­pfle­ge ein­fach bewirkt wer­den.

Nun gibt es Anbie­ter von Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen, die zugleich Betrei­ber von Kran­ken­häu­sern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen sind. Wie ist es zu ver­ste­hen, dass bei dem deutsch­land­weit größ­ten die­ser Anbie­ter, nicht nur die Situa­tio­nen schwe­re Hirn­schä­di­gung und weit fort­ge­schrit­te­ne Demenz nicht ange­bo­ten wer­den, son­dern auch der Zusatz bei der zwei­ten Situa­ti­on: „wenn der Todes­zeit­punkt noch nicht abseh­bar ist“ gestri­chen wur­de? Damit ist sicher­ge­stellt, dass Pati­en­ten, die des­sen Patienten­verfügung nut­zen, noch sehr lan­ge legal vom Ster­ben abge­hal­ten wer­den kön­nen. 

Vor­sor­ge­wil­li­ge, denen die­se soge­nann­te „Christ­li­che Pati­en­ten­vor­sor­ge“ vor­ge­legt wird, kön­nen glau­ben, dass sie damit abge­si­chert sind. Doch dürf­te häu­fig selbst der­je­ni­ge, der die­se Bro­schü­re aus­hän­digt, nicht wis­sen, wie ein­ge­schränkt sie ist. Auch dürf­te sich nicht jede/​r die Mühe machen, die gan­ze 46-sei­ti­ge Bro­schü­re durch­zu­le­sen. Dort steht auf Sei­te 21f tat­säch­lich, wie die Situa­tio­nen erwei­tert wer­den könn­ten, aber bei­spiel­haft nur auf die schwe­re Hirn­schä­di­gung bezo­gen. Dort fin­den wir die Situa­ti­ons­be­schrei­bung des BMJ wie­der, jedoch mit dem Zusatz, dass sie nur gel­ten soll, wenn „eine aku­te Zweit­er­kran­kung hin­zu­kommt“. 

Es wäre wün­schens­wert gewe­sen, wenn das BMJ 2009 sei­ne Pati­en­ten­ver­fü­gungs-Emp­feh­lung gemäß dem Gesetz wei­ter­ent­wi­ckelt hät­te. Alter­na­tiv könn­te es auch hilf­reich sein, wenn es eine Instanz gäbe, die die Ange­bo­te der ver­schie­de­nen Anbie­ter ver­gleicht und ein Qua­li­täts­ur­teil abgibt, so wie wir es von der Stif­tung Waren­test auf ande­re Pro­duk­te bezo­gen ken­nen. Lei­der haben die Ver­brau­cher­zen­tra­len sich dadurch dis­qua­li­fi­ziert, dass sie eine eige­ne Pati­en­ten­ver­fü­gungs­bro­schü­re her­aus­ge­ben und die natür­lich für das Non­plus­ul­tra hal­ten. 

Patientenverfügungen sind nicht für Notfallsituationen!

Mei­ne Patienten­verfügung soll dafür sor­gen, dass ich einst­mals an mei­ner Erkran­kung natür­lich ver­ster­ben kann. Damit dann kei­ne Ster­be­ver­hin­de­rung mehr ver­sucht wird, beschreibt sie kon­kret, in wel­chen Situa­tio­nen wel­che medi­zi­ni­schen Maß­nah­men zu unter­las­sen sind.

Natur­ge­mäß han­delt es sich bei den benann­ten Situa­tio­nen um kei­ne Not­fäl­le und auch kei­ne Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te, für die ich mich ent­schie­den habe, weil ich mir davon eine Ver­bes­se­rung mei­ner Situa­ti­on erhof­fe. Trotz­dem wer­den Pati­en­ten bei der Auf­nah­me in ein Kran­ken­haus nach ihrer Patienten­verfügung gefragt. Wenn es dabei nur dar­um gin­ge, ob eine vor­han­den ist und wer bevoll­mäch­tigt wur­de, wäre das ja noch in Ord­nung. Aber wenn die Patienten­verfügung vor­ge­legt wer­den soll und eine Kopie (manch­mal sogar das Ori­gi­nal) zu den Akten genom­men wird, geht es zu weit.

Wer zur Behand­lung in ein Kran­ken­haus geht, will noch leben. Wenn dann eine Not­fall­si­tua­ti­on ein­tritt, soll­te dem­nach zunächst alles ver­sucht wer­den, um den Pati­en­ten zu ret­ten. Dafür braucht es aber kei­ne Patienten­verfügung. Wenn die Ret­tungs­ver­su­che nicht zum erhoff­ten Ziel füh­ren, müs­sen Ärz­te nicht auto­ma­tisch nach einer Patienten­verfügung han­deln, denn meis­tens ist noch kei­ne der dort auf­ge­führ­ten Situa­tio­nen ein­ge­tre­ten. Viel wich­ti­ger ist es dann die Bevoll­mäch­tig­tenBevoll­mäch­tig­te Ein/​e Bevollmächtigte/​r ist eine vom Voll­macht­ge­ber beru­fe­ne Per­son, die in Ver­tre­tung der Voll­macht­ge­be­rin oder des Voll­macht­ge­bers ent­schei­den bzw. han­deln kann. zu infor­mie­ren, um mit deren Hil­fe den mut­maß­lich aktu­el­len Wil­len zu ermit­teln. Um den zu bele­gen, kön­nen die­se dann die Patienten­verfügung zu Rate zie­hen.

Die­se Vor­ge­hens­wei­se kann ein paar Tage benö­ti­gen, wür­de aber der Inten­ti­on des Ver­fü­gen­den in den meis­ten Fäl­len eher gerecht wer­den, als wenn Ärz­te selb­stän­dig auf­grund einer vor­lie­gen­den Patienten­verfügung han­deln wür­den. Das dürf­te in etwa die glei­che Zeit sein, die Ärz­te benö­ti­gen, um ihre Dia­gno­se zu sichern. Unbe­nom­men sind von die­sem Vor­ge­hen Situa­tio­nen, in denen es aus ärzt­li­cher Sicht kei­ne Indi­ka­ti­on gibt, lebens­er­hal­ten­de Maß­nah­men fort­zu­set­zen.

Also Kran­ken­haus­auf­nah­men: Nehmt kei­ne Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen zu den Akten, son­dern nur die Infor­ma­ti­on, ob es eine gibt und wie die Bevoll­mäch­tig­ten zu errei­chen sind. Fatal wäre näm­lich, wenn ein Pati­ent zwi­schen zwei Kran­ken­haus­auf­ent­hal­ten sei­ne Patienten­verfügung in wesent­li­chen Punk­ten aktua­li­siert hat, die­se bei einem spä­te­ren Besuch aber nicht dabei hat und nach einer ver­al­te­ten Ver­fü­gung gehan­delt wird.

Ganz anders ist es, wenn ich bereits in einer Pfle­ge­ein­rich­tung bin und eine Situa­ti­on erreicht ist, in der ich lie­ber an mei­ner Erkran­kung ver­ster­ben möch­te. Wenn mei­ne Patienten­verfügung dann Wie­der­be­le­bung, Kran­ken­haus­ein­wei­sung und/​oder das Rufen eines Not­arz­tes ver­bie­tet, dann müss­te das auch vom Pfle­ge­per­so­nal beach­tet wer­den, was aber lei­der häu­fig nicht pas­siert. Das kann dar­an lie­gen, dass die Patienten­verfügung zwar bei den Akten liegt, aber nicht bekannt ist. Es wäre Auf­ga­be des behan­deln­den Arz­tes die Pfle­ge­kräf­te in einer vor­aus­schau­en­den Not­fall­pla­nung auf die ein­ge­tre­te­ne Beacht­lich­keit der Patienten­verfügung hin­zu­wei­sen. Hier kön­nen aber auch Bevoll­mäch­tig­teBevoll­mäch­tig­te Ein/​e Bevollmächtigte/​r ist eine vom Voll­macht­ge­ber beru­fe­ne Per­son, die in Ver­tre­tung der Voll­macht­ge­be­rin oder des Voll­macht­ge­bers ent­schei­den bzw. han­deln kann. und Betreu­erBetreu­er Vom Betreu­ungs­ge­richt bestell­ter recht­li­cher Ver­tre­ter; in der Regel Berufs­be­treu­er, die für Ihre Arbeit bezahlt wer­den. wich­ti­ge Hil­fe leis­ten und den Arzt um die Not­fall­pla­nung bit­ten und Pfle­ge­dienst­lei­tung und Pfle­ge­kräf­te auf mei­nen doku­men­tier­ten Wil­len hin­wei­sen.

Autor: Frank Spa­de, Ster­be­be­glei­ter und huma­nis­ti­scher Bera­ter zu Patienten­verfügung, Vorsorge und Selbst­be­stim­mung am Lebens­en­de, hält auch Vor­trä­ge zum The­ma

Zehn Jahre Patientenverfügung

Bewährt oder überholungsbedürftig? Von Dr. med. Horst Gross

Zehn Jah­re nach Ein­füh­rung der Patienten­verfügung ist vie­len Deut­schen unklar, wie sie recht­lich gül­tig ihren Wil­len über das eige­ne Ster­ben for­mu­lie­ren soll­ten. So kommt es immer wie­der vor, dass Kli­ni­ken und Pfle­ge­diens­te schrift­lich fixier­te Wün­sche von bewusst­lo­sen Pati­en­ten umge­hen. Eine Hor­ror­vor­stel­lung für vie­le. Der Bun­des­ge­richts­hof hat des­halb im April betont, dass vage for­mu­lier­te Ver­fü­gun­gen ihre Gül­tig­keit ver­lie­ren. Kön­nen kom­mer­zi­el­le Anbie­ter in die­ser ver­wir­ren­den Situa­ti­on hel­fen? Oder reicht die kos­ten­lo­se Mus­ter­ver­fü­gung aus dem Netz und das ver­trau­ens­vol­le Haus­arzt-Gespräch? 

Am Mitt­woch, dem 28.08.2019 um 8:30 Uhr wur­de im Hör­funk­pro­gramm des SWR2 die­ser Bei­trag u. a. mit einem Inter­view mit Frank Spa­de gesen­det. Der Bei­trag ist als Pod­cast hier zu fin­den …